Freitag, 20. Juni 2008

Wilde Sau auf der Autobahn - Personenschützer unterwegs

Kleine Anfrage im Berliner Abgeordnetenhaus, eingeleitet mit folgendem Erlebnis:

Am Sonntag, dem 17.12.07 gegen 16.30 Uhr, fuhr auf der dreistreifigen BAB 9 bei Niemegk, Richtung Berlin, ein Fahrzeugpaar (vorne Audi A4, neutrales Berliner Kennzeichen, bekannt, dahinter ein Audi A6 mit nicht eingeschaltetem Topblaulicht, Kenn-zeichen B-xxxxx) mit ca. 140 bis 150 km/h. Während das Führungsfahrzeug stets nur den ersten und zweiten Fahrstreifen benutzte, wechselte der Wagen der Personenschützer ständig zwischen dem zweiten und dem dritten Fahrstreifen, wobei meistens die Fahrbahnmarkierung des zweiten und dritten Fahrstreifens in die Mitte genommen wurde. Der Sicherheitsabstand betrug grundsätzlich weniger als 1 Meter. So wurde über mehrere Kilometer ein Überholen durch ständigen Fahrstreifenwechsel und Abklemmen der sich ansammelnden Fahrzeuge vorsätzlich versucht zu verhindern. Einige wie ich kamen jedoch schließlich vorbei. Nur wenige Kilometer weiter ist bekanntlich im Fläming eine Geschwindigkeitsbegrenhyqemfzzung auf 120 km/h. Während nun alle vorher aufgestauten Fahrzeuge auf dieses vorgeschriebene Tempo reduzierten, überholte in diesem Bereich das besagte Fahrzeugpaar mit unverminderter Geschwindigkeit. Nach Aufhebung der Geschwindigkeitsbegrenzung wiederholte sich dieses Spielchen ein weiteres Mal über mehrere Kilometer.


Die ausweichenden Antworten hier.

Mittwoch, 18. Juni 2008

Rechtsausschuss empfiehlt Änderungen des MoMiG-Entwurfs

Der Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages hat in seiner heutigen Sitzung eine noch nicht veröffentlichte Beschlussempfehlung zum MoMiG beschlossen. Einzelheiten in den Unternehmensrechtlichen Notizen.

Phobie gegen amtliche Schreiben

Wer eine Phobie mit Krankheitswert gegen amtliche Schreiben hat, muss sich helfen lassen und vorsorglich andere Personen die Post durchsehen lassen. Anderenfalls müssen die negativen Folgen in Kauf genommen werden, weil Versäumung von Fristen dann aus diesem Grund verschuldet sei. Mit Urteil zum Kindergeldrecht vom 23. April 2008 (Az.: 1 K 2525/07) hat das Finanzgericht Rheinland-Pfalz dementsprechend zu der Frage Stellung genommen, ob bei Versäumung einer Frist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden kann, wenn die Frist wegen einer Phobie gegen amtliche Schreiben versäumt wurde.
Einzelheiten hier in der Pressemitteilung.

Dienstag, 17. Juni 2008

Studiengebühren in Hessen ab Wintersemester 2008/2009 mit rechtlichen Empfehlungen von Herrn Koch wirksam abgeschafft

Das Gesetz zur Sicherstellung von Chancengleichheit an hessischen Hochschulen wurde nunmehr richtig ergänzend auf Grund des folgenden Antrags vom 16.06.2008 der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen entsprechend den rechtlichen Empfehlungen des amtierenden Ministerpräsidenten Koch beschlossen:

"§ 13 Abs. 1 erhält folgende Fassung:
"(1) Der Studienbeitrag nach diesem Gesetz wird erstmals für das Wintersemester 2007/2008 und letztmals für das Sommersemester 2008 erhoben.""
Begründung:
Die geschäftsführende Landesregierung hat mit Schreiben vom 9. Juni 2008 gegen das vom Hessischen Landtag am 3. Juni 2008 in zweiter Lesung beschlossene Gesetz zur Sicherstellung von Chancengleichheit an hessischen Hochschulen Einspruch nach Art. 119 Hessische Verfassung eingelegt und diesen begründet. Der Änderungsantrag trägt den von dem geschäftsführenden Ministerpräsidenten in der Sitzung des Hessischen Landtags vom 5. Juni 2008 sowie im Schreiben vom 9. Juni 2008 formulierten Bedenken Rechnung und folgt der vom geschäftsführenden Ministerpräsidenten in seinem Einspruchsschreiben formulierten rechtlichen Empfehlung. Andere rechtliche Einwendungen wurden vonseiten der geschäftsführenden Landesregierung im Rahmen ihres Einspruchs nach Art. 119 Hessischer Verfassung nicht erhoben.
Mit dieser Regelung wird nunmehr klargestellt, dass ab dem Wintersemester 2008/2009 keine Studienbeitragspflicht mehr besteht. Das bedeutet, dass von diesem Zeitpunkt an allgemeine Studiengebühren, Langzeitstudienbeiträge und Zweitstudienbeiträge abgeschafft sind.
Wiesbaden, 16. Juni 2008"

Montag, 16. Juni 2008

Rechtsdienstleistungsgesetz tritt am 01.07.2008 in Kraft

Eine kurze Zusammenfassung der wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages über das am 01.07.2008 in Kraft tretende Rechtsdienstleistungsgesetz ist hier zu finden.

Sonntag, 15. Juni 2008

Teilnahme an Täterprogramm als Einstellungs- oder Bewährungsweisung

Der Bundesrat hat am 13. Juni 2008 den Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Täterverantwortung eingebracht. Die Einstellung eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens gemäß § 153 a StPO soll danach auch möglich sein, wenn der Täter an einem Täterprogramm teilnimmt, wobei die Frist zur Erfüllung der Weisung bis zu einem Jahr betragen soll. Im Fall einer Verurteilung soll die Strafaussetzung zur Bewährung gemäß § 59 a Absatz 2 Nr. 5 StGB der Entwurfsfassung mit der Weisung verbunden werden dürfen, an einem Täterprogramm teilzunehmen.

In der Entwurfsbegründung (Seite 10) heißt es u. a.:

Mit Blick auf den Opferschutz ist die Durchführung eines Täterprogramms im Rahmen einer Weisung oftmals erfolgversprechender als die im Einzelfall unter Umständen in Betracht kommende Auferlegung einer Geldbuße oder die Verurteilung zu einer Geldstrafe, weil der Täter nachhaltig gezwungen wird, sich mit seiner Tat auseinanderzusetzen und die Verantwortung hierfür zu übernehmen. Da dies nicht nur für Täter häuslicher Gewalt gilt, sollen die Verbesserungen nicht auf Programme in diesem Bereich beschränkt werden, sondern im Interesse eines effektiven Opferschutzes auch bei anderen - die genannten Ziele verfolgenden - Täterprogrammen zum Tragen kommen.
Für die zu absolvierenden Täterprogramme sollen die Standards der Bundesarbeitsgemeinschaft Tätergewalt gelten.

Leitlinien sollen demnach sein:

"Täterarbeit HG ist ein unterstützendes Angebot zur Verhaltensänderung für gewalttätige Männer. Dabei ist Opferschutz ein unverzichtbarer Bestandteil von Täterarbeit HG, deshalb muss jedes ihrer Handlungsziele die Sicherheit der (Ex-)Partnerinnen und deren Kinder steigern und daraufhin überprüfbar sein. Grundlage der Arbeit ist ein positives Menschenbild, welches das gewalttätige Verhalten, jedoch nicht die Person an sich ablehnt. Neben einer respektierenden Grundhaltung gegenüber teilnehmenden Männern bestehen folgende Prinzipien:

  • Konflikt- und Gewaltverhalten ist zu differenzieren.
  • Häusliche Gewalt ist inakzeptabel und muss verhindert werden.
  • Täter müssen für ihr gewalttätiges Verhalten zur Verantwortung gezogen werden.
  • Verhaltensänderungen können durch eine intensive Auseinandersetzung mitdem eigenen Verhalten im Rahmen von Täterarbeit HG erreicht werden.
  • Ein effizientes Vorgehen gegen häusliche Gewalt wird durch einZusammenwirken von Politik, Justiz, Polizei, Einrichtungen des Sozial- und Gesundheitswesens, Gesellschaft und jedem Einzelnen gewährleistet.
  • Täterarbeit HG soll positive soziale Beziehungen auf der Grundlage von gegenseitiger Akzeptanz und Gleichberechtigung fördern.
Täterarbeit HG muss Bildungsunterschiede, kulturelle und soziale Hintergründe sowie regionale Gegebenheiten konzeptionell angemessen berücksichtigen. Sofern spezielle Täterprogramme für Männer, z.B. mit Migrationshintergrund, durchgeführt werden, sind die vorliegenden Standards einzuhalten."
Der Gesetzentwurf wird nunmehr vor dem Deutschen Bundestag behandelt werden. Termine sind noch nicht bekannt.

Samstag, 14. Juni 2008

MoMiG: Unternehmergesellschaft Herbst/Winter 2008

Prof. Dr. Ulrich Seibert, Ministerialrat im Bundesministerium der Justiz, Honorarprofessor an der Heinrich-Heine-Universität und Direktor des Instituts für Unternehmensrecht, berichtete am 11.06.2008, dass der BT-Rechtsausschuss in seiner abschließenden Beratung am 18.06. vermutlich folgende Änderungen gegenüber dem MoMiG-RegE beschließen wird:

Das Mindeststammkapital bleibt bei 25 000 €.

Durch Schaffung der Unternehmergesellschaft wird für Kleingründungen eine Alternative geboten für die nunmehr ein “notariell beurkundetes Gründungsprotokoll” (anstelle einer notariell zu beglaubigenden Mustersatzung) errichtet werden soll. Hierfür wird ein Musterprotokoll dem Gesetz angefügt. Die Gebühren hierfür sollen "sehr niedrig" sein.
Es soll eine “Anrechnungslösung” statt der bisher geplanten Erfüllungslösung bei verdeckter Sacheinlage geben. Der (nicht erfüllte) Einlageanspruch wird automatisch um den Wert des überlassenen Gegenstandes herabgesetzt, jedoch wird die "verdeckte" Sacheinlage nicht wie eine "echte" Sacheinlage als Erfüllung des Einlageanspruchs dienen können - der Geschäftsführer und der Gesellschafter handeln also pflichtwidrig.

Es soll eine eigenkapitalersetzenden Nutzungsüberlassung nach österreichischem Vorbild eingeführt werden, die die Gesellschafter verpflichtet, "die betreffenden Gegenstände der Gesellschaft für ein Jahr nach Insolvenzeröffnung zu überlassen" (was immer das bedeuten soll).
Schließlich sind Korrekturen am Überschuldungsstatus (§ 19 InsO) geplant.


Hier ist offensichtlich das letzte Wort noch nicht gesprochen.

Zum Zeitplan wird berichtet:

Die 2. und 3. Lesung im Bundestag ist für den 27.06.2008 geplant. Im September sei der 2. Durchgang im Bundesrat. Danach erfolgen dann die Ausfertigung und Verkündung - ein Inkrafttreten wird daher im Spätherbst oder Winter zu erwarten sein.


Gefunden in den Unternehmensrechtlichen Notizen (Prof. Dr. Seibert). Vgl. auch hier.

Die Tagesordnung des Rechtsausschusses vom 18.06.2008 sieht allerdings eine eine sehr ausführliche Sachverständigenanhörung in Fragen des Lebenspartnergesetzes vor. Der Zeitplan scheint ins Wanken zu geraten.

Im übrigen aus notarieller Sicht: Die Notare sollen in unzumutbarer Weise für sehr niedrige Gebühren das einfache Gründungsprotokoll beurkunden, natürlich den Beratungspflichten nachkommen und demnach bei unvollständiger Beratung voll haften und dann noch bei der verhältnismäßig aufwendigen elektronischen Anmeldung die Eintragung der Unternehmergesellschaft technisch eintragungsbereit bei dem Handelsregister vorbereiten. So geht es nicht.

Studiengebühren in Hessen sollen am 17. Juni 2008 engültig abgeschafft werden

Ein Satz war vergessen worden, als die Studiengebühren am 3. Juni 2008 durch Gesetzesbeschluss in zweiter Lesung im Hessischen Landtag abgeschafft werden sollten. Der wichtigste Satz sollte § 13 des Hessischen Studienbeitragsgesetzes ergänzen: "Die §§ 1 bis 6 dieses Gesetzes finden letztmalig für das Sommersemester 2008 Anwendung und treten am 31. Dezember 2008 außer Kraft."

Die Panne soll am 17. Juni 2008 repariert werden. Das wird auch gelingen.

Aus der Tagesordnung für die 12. Plenarsitzung des Hessischen Landtags am Dienstag, dem 17. Juni 2008, 14.00 Uhr:

Dritte Lesung des Dringlichen Gesetzentwurfs der Fraktionen der SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN für ein Gesetz zur Sicherstellung von Chancengleichheit an hessischen Hochschulen in der vom Landtag in zweiter Lesung am 3. Juni 2008 beschlossenen Fassung – Drucks. 17/271 zu Drucks. 17/15 – hier: Einspruch der Landesregierung.

Beschlossen wurde am 3. Juni 2008 entsprechend Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wissenschaft und Kunst:

Das Hessische Studienbeitragsgesetz vom 16. Oktober 2006 (GVBl. I S. 512) wird wie folgt geändert:

1. § 7 wird wie folgt geändert:

a) In § 7 Abs. 1 S. 1 werden nach dem Wort "haben" die Worte "im Wintersemester 2007/2008 und im Sommersemester 2008",
nach dem Wort "Studiendarlehens" die Worte "für die Finanzierung eines Studienbeitrages, der für das Wintersemester 2007/2008 und für
das Sommersemester 2008 erhoben wurde" sowie nach den Angaben "§ 2 Abs. 1", "§ 3 Abs. 3" und "§ 4" jeweils die Worte "dieses
Gesetzes in der Fassung vom 16. Oktober 2006 (GVBl. I S. 512)" eingefügt.

b) In Abs. 4 Satz 1 werden nach den Angaben "§ 3 Abs. 1" und "§ 4 Abs. 2 und 3" jeweils die Worte "dieses Gesetzes in der Fassung vom
16. Oktober 2006 (GVBl. I S. 512)" eingefügt."

2. In § 9 Abs. 2 Satz 1 werden nach der Angabe "§ 4" die Worte "dieses Gesetzes in der Fassung vom 16. Oktober 2006 (GVBl. I S. 512)" eingefügt.


Ursprünglicher Gesetzentwurf:

Das Hessische Studienbeitragsgesetz (HStubeiG) vom 16. Oktober 2006 (GVBl. I S. 512) wird wie folgt geändert:

1. In § 7 Abs. 1 S. 1 werden nach dem Wort "haben" die Worte "im Wintersemester 2007/2008 und im Sommersemester 2008" eingefügt.
2. In den §§ 7 bis 10 werden jeweils nach den Angaben "§ 2 Abs 1", "§ 3 Abs. 1", "§ 3 Abs. 3", "§ 4", "§ 4 Abs. 2 und 3" die Wörter
"dieses Gesetzes in der Fassung vom 16. Oktober 2006 (GVBl. I S. 512)" eingefügt.
3. Dem § 13 Abs. 1 wird folgender Satz angefügt:
"Die §§ 1 bis 6 dieses Gesetzes finden letztmalig für das Sommersemester 2008 Anwendung und treten am 31. Dezember 2008 außer Kraft."

Mittwoch, 11. Juni 2008

Studiengebühren in Hessen - Minderheitenvotum

Die mich überzeugende abweichende Meinung der Mitglieder des Staatsgerichtshofs Lange, Falk, Giani, Klein und von Plottnitz zu dem Urteil des Staatsgerichtshofs vom 11. Juni 2008 – P.St. 2133, 2158 –:

"Die Mehrheitsentscheidung wird der Hessischen Verfassung nicht gerecht. Insbesondere verkehrt sie Wortlaut und Sinn des für dieses Normenkontrollverfahren zentralen Art. 59 HV geradezu in deren Gegenteil, ohne dass es dafür eine rechtlich vertretbare Begründung gäbe."
Zur Begründung heißt es u.a.:

"Art. 59 Abs. 1 HV beschränkt sich also nicht darauf, ärmeren Studierwilligen ein Studium zu ermöglichen. Vielmehr soll nach seinem eindeutigen Wortlaut eine durch Abgaben für Schul- oderHochschulbesuch bewirkte finanzielle Belastung wirtschaftlich nicht hinreichend Leistungsfähiger überhaupt vermieden und damit auch verhindert werden, dass Studierende aus Sorge vor einer Verschuldung von der Aufnahme eines Studiums abgehalten werden oder deren Eltern sich „krummlegen“, um ihren Kindern die Verschuldung zu ersparen, der sich Wohlhabendere, welche Studienentgelte mühelos zu tragen vermögen, von vornherein entziehen können.

Wenn eine Verfassungsnorm wie Art. 59 Abs. 1 HV nicht nur ein Ziel, sondern auch den Weg zu diesem Ziel vorgibt, dann ist es unzulässig, sie im Wege der Auslegung auf ihr Ziel zu reduzieren, den in ihr festgelegten Weg zu diesem Ziel aber zu ignorieren und durch einen anderen zu ersetzen."
Weiter:
"Das Argument der Mehrheit, dass die Eröffnung einer Darlehensmöglichkeit die
wirtschaftliche Lage des Darlehensberechtigten verbessere, greift zu kurz. Die wirtschaftliche Lage einer Person wird dadurch jedenfalls dann nicht verbessert, wenn diese zur Aufnahme eines solchen Darlehens gezwungen wird. Und das ist genau die Situation derjenigen Studierenden, welche die von ihnen verlangten Studienbeiträge nicht aus eigenen Mitteln oder mit Hilfe ihrer Unterhaltspflichtigen
finanzieren können und deshalb auf die Darlehensaufnahme angewiesen sind. Daran, dass die wirtschaftliche Lage einer Person nicht dadurch erbessert wird, dass sie sich verschuldet, kann kein ernsthafter Zweifel bestehen. Das gilt selbst dann, wenn, wie bei den grundsätzlich allerdings durchaus verzinslichen und rückzahlungsbedürftigen Studiendarlehen nach dem Studienbeitragsgesetz, unter bestimmten Voraussetzungen die Verzinsung erlassen und die Rückzahlung bei Unterschreitung einer bestimmten Einkommenshöhe in der Zukunft gestundet werden kann und die Rückzahlungspflicht, falls sich die finanzielle Situation des Schuldners noch nach Jahrzehnten nicht verbessert hat, sogar erlischt."
Weitere Argumentation:
"Die Auslegung des Begriffs der „wirtschaftlichen Lage“ in Art. 59 Abs. 1 Satz 4 HV durch die Mehrheit führt zu dem Ergebnis, dass von „Schülern“ nach Art. 59 Abs. 1 Satz 4 HV abweichend von der in Satz 1 der Norm vorgesehenen Unentgeltlichkeit des Unterrichts ein Schulgeld verlangt werden könnte, denen zugleich nach Art. 59 Abs. 1 Satz 3 HV deshalb, weil sie sozial schwächergestellt sind, eine Erziehungsbeihilfe zu leisten ist. Dass der Verfassungsgeber derart widersprüchliche Regelungen hätte treffen wollen, kann nicht unterstellt werden.
Das Hessische Studienbeitragsgesetz stellt in Wirklichkeit überhaupt nicht auf die wirtschaftliche Lage der Studierenden, ihrer Eltern oder der sonst Unterhaltspflichtigen ab, wie Art. 59 Abs. 1 Satz 4 HV es verlangt. Die konkrete wirtschaftliche Lage der Studierenden und ihrer Unterhaltspflichtigen spielt nach dem Hessischen Studienbeitragsgesetz keine Rolle. Das Kind wohlhabendster Eltern ist ebenso studienbeitragspflichtig und hat ebenso Anspruch auf ein Studiendarlehen wie Studierende aus den wirtschaftlich schwächsten Verhältnissen (nur, dass Letztere – aber auch nicht alle – keine Zinsen auf das Darlehen zu zahlen brauchen). Tatsächlich sind die Regelungen über das Studiendarlehen nur eine Modifikation der Studienbeitragspflicht, die darin besteht, dass die Studierenden die Studienbeiträge abzahlen dürfen. Das ändert aber nichts daran, dass von ihnen ohne Rücksicht auf ihre wirtschaftliche Lage für ihr Studium ein Entgelt verlangt wird. Mit Art. 59 Abs. 1 HV lässt sich dies nicht in Einklang bringen. Wenn in der Hessischen Verfassung steht „Der Unterricht ist unentgeltlich“, dann bedeutet das „Es kostet nichts“ und nicht „Du kannst es später abzahlen“."
Die ausführlich dargelegte abweichende Meinung ist hier auf den Seiten 100 bis 110 wiedergegeben.

Im Ergebnis wird nunmehr in Hessen dieser abweichenden Meinung Rechnung getragen. Wenn die Oppositionsparteien ihren technischen Gesetzesformulierungslapsus ausgebügelt haben, werden die Studiengebühren voraussichtlich ab dem Wintersemester 2008/2009 un Hessen abgeschafft sein.

Studiengebühren in Hessen verstoßen nicht gegen Landesverfassung

"Das Gesetz zur Einführung von Studienbeiträgen an den Hochschulen des Landes und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 16. Oktober 2006 (GVBl. I S. 512) ist mit der Verfassung des Landes Hessen vereinbar." Dies entschied der Staatsgerichtshof des Landes Hessen am 11. Juni 2008 - Aktenzeichen P.St. 2133; P.St: 2158.


Art. 59 Abs. 1 der Hessischen Verfassung lautet:

In allen öffentlichen Grund-, Mittel-, höheren und Hochschulen ist der Unterricht unentgeltlich. Unentgeltlich sind auch die Lernmittel mit Ausnahme der an den Hochschulen gebrauchten. Das Gesetz muss vorsehen, dass für begabte Kinder sozial Schwächergestellter Erziehungsbeihilfen zu leisten sind. Es kann anordnen, dass ein angemessenes Schulgeld zu zahlen ist, wenn die wirtschaftliche Lage des Schülers, seiner Eltern oder der sonst Unterhaltspflichtigen es gestattet.

Der Staatsgerichtshof führte u. a. aus:

"Der Gesetzgeber durfte sich für eine Erhebung allgemeiner Studienbeiträge entscheiden, weil er aufgrund der Bereitstellung eines für jeden Studierenden verfügbaren Studiendarlehens unter den vom Gesetz geregelten Konditionen davon ausgehen durfte, dass die wirtschaftliche Lage aller Studierenden im Sinne des Art. 59 Abs. 1 Satz 4 HV die Zahlung des Studienbeitrags erlaubt. Als Konsequenz hieraus bedurfte es auch keiner individuellen Leistungsfähigkeitsprüfung der Studierenden mehr. Entscheidend ist, dass die finanzielle Situation eines Studienbewerbers oder
Studierenden kein Hindernis für die Aufnahme eines Studiums darstellen darf. Auf welche Art und Weise dies der Gesetzgeber sicherstellt, wenn er die Erhebung von Studienbeiträgen vorschreibt, ist im Hinblick auf Sinn und Zweck der Verfassungsnorm ohne Bedeutung. Der Gesetzgeber darf deshalb Studienbeiträge
einführen, wenn er die damit verbundenen finanziellen Belastungen, die von der Aufnahme oder Fortführung eines Studiums abhalten könnten, durch die Gewährung eines Darlehens auffängt. Die Kompensation (im vorliegenden Fall: die Darlehensoption) muss in ihrer Ausgestaltung dem Zweck der Unentgeltlichkeit
gleichkommen. Denn entsprechend dem Zweck des Art. 59 Abs. 1 HV, dem Tüchtigen „freie Bahn“ beim Zugang zum Studium zu gewährleisten, hat der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung der Erhebung des Studienbeitrags sicherzustellen, dass niemand aus wirtschaftlichen Gründen an der Aufnahme des Studiums gehindert wird. Wird die wirtschaftliche Lage im Sinne von Art. 59 Abs. 1 Satz 4 HV durch ein Darlehen bewirkt, müssen die Darlehensbedingungen so gestaltet sein, dass die Inanspruchnahme des Darlehens für einen Studierenden,
der aufgrund seiner wirtschaftlichen Lage die Studienbeiträge während des Studiums nicht zahlen kann, zumutbar ist. Dabei ist die Zumutbarkeit objektiv am Maßstab eines vernünftigen und wirtschaftlich rational handelnden Studierenden zu bestimmen."
Dazu heißt es weiter:

"Ausgangspunkt der gesetzlichen Regelung ist die Zusage des Staates: Auch ohne eigene Mittel kann jeder studieren. Da Studierende gemäß § 7 Abs.1 Satz 2 HStubeiG weder ihre Bonität nachzuweisen noch Sicherheiten zu leisten haben, stellt sich das Darlehen für sie voraussetzungslos dar. Insbesondere spielt ihre wirtschaftliche Lage oder Leistungsfähigkeit keine Rolle, sie müssen also weder besonders geartete Vermögensvoraussetzungen erfüllen noch irgendwelche Sicherheiten nachweisen. Der Zugang zu dem Darlehen ist daher auch für völlig mittellose Studierende gesichert. Während des Studiums tritt lediglich die rein rechnerische Belastung durch die Verschuldung als solche ein.
Insbesondere sind während des Studiums keine Tilgungsleistungen zu erbringen und keine Zinsen zu zahlen. Für wirtschaftlich Schwächergestellte, ausgewiesen durch ihren nachgewiesenen Anspruch auf Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz, treten keine Zinsbelastungen hinzu, da ihnendas Darlehen zinslos gewährt wird. Es verbleibt bei der reinen Darlehensschuld
(§ 7 Abs. 1 Satz 6 HStubeiG). Die Pflicht zur Rückzahlung von Darlehens- und Zinsschuld setzt frühestens zwei Jahre nach Abschluss des Studiums, spätestens
elf Jahre nach dessen Aufnahme ein und ist abhängig von dem dann erzielten Einkommen. Solange nicht die Einkommensgrenzen nach § 18a BAföG zuzüglich weiterer 300 Euro erreicht werden, besteht ein Anspruch auf Stundung des Darlehens (§ 8 Abs. 1, 2 HStubeiG). Bei Eintritt der Tilgungs- und Zinszahlungspflicht ist die Mindestzahlung des Darlehensnehmers auf 50 Euro monatlich beschränkt (§ 8 Abs. 1 Satz 1 HStubeiG). Die Rückzahlungspflicht ist unter den Voraussetzungen des § 8 Abs. 3 HStubeiG auf 15 000 Euro beschränkt und endet in jedem Fall 25 Jahre nach Beginn der Rückzahlungspflicht
(§ 8 Abs. 1 Satz 5 HStubeiG)."
Weiter:

"Denn jedenfalls wird der Zugang zu den hessischen Hochschulen infolge der Zumutbarkeit der Darlehensaufnahme zur Finanzierung der Studienbeiträge (vgl. zuvor 2. b) jj) durch die Erhebung des Grundstudienbeitrags nicht in einer Weise erschwert, die mit Art. 59 Abs. 2 HV unvereinbar wäre."
Der gesamte Text der Entscheidung ist hier zu finden.

Dienstag, 10. Juni 2008

Schlampiger Richter - Verfahren eingestellt

Der Amtsrichter hat anscheinend vergessen, das Formular für den Beschluss über die Eröffnung des Hauptverfahrens auch nur andeutungsweise auszufüllen. Das OLG Zweibrücken bestätigt die Einstellung des Verfahrens durch die kleine Strafkammer des Landgerichts Kaiserslautern, denn es fehlt damit der notwendige Beschluss über die Eröffnung des Hauptverfahrens. Eine neue Entscheidung über die Anklage erscheint nahe liegend: Es wurde noch nicht über die Eröffnung des Hauptverfahrens entschieden. Der Angeklagte darf sich nur freuen, wenn Verjährung in Betracht kommt.

Aus technischen Gründen sind die richterliche Verfügung mit dem leeren Formular und die Ausfertigungnicht im Text, sondern hier wiedergegeben.

1 Ws 142/08
6071 Js 21157/06
StA Kaiserslautern


Pfälzisches Oberlandesgericht
Zweibrücken
Beschluss
In dem Strafverfahren gegen
N… J… S… geb. Z…, geboren am … in
S…, wohnhaft in 6…, F…,
wegen Betruges,
hier: Einstellung des Verfahrens nach § 206 a Abs. 1 StPO,
hat der 1. Strafsenat des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Petry, den Richter am Oberlandesgericht Maurer und den Richter am Landgericht Christoffel
am 2. Mai 2008
beschlossen:
1. Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft
Kaiserslautern gegen den Beschluss der 3. (Kleinen) Strafkammer des Landgerichts Kaiserslautern vom 13. März 2008 wird als unbegründet verworfen.
2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die der Angeklagten darin erwachsenen notwendigen Auslagen fallen der Landeskasse zur Last.

G r ü n d e :
I.
Die Staatsanwaltschaft Kaiserslautern erhob wegen Betruges in zwölf Fällen Anklage zum Amtsgericht Kusel und beantragte, das Verfahren vor dem Strafrichter zu eröffnen. Nach Zustellung der Anklage und Ablauf der richterlich bestimmten Erklärungsfrist für die Angeschuldigte von zwei Wochen traf das Amtsgericht am 21. Februar 2007 im Zwischenverfahren unter Verwendung eines (nicht amtlich eingeführten) Vordrucks mit formularmäßig vorgefertigtem Text sowie handschriftlichen Ausfüllungen einschließlich einer eigenhändigen Unterschrift des Richters folgende Entscheidung:


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Der in der formularmäßig gehaltenen „Verfügung“ unter Ziff. 1 erwähnte „Eröffnungsbeschluss“ wurde durch die Geschäftsstelle alsdann wie folgt ausgefertigt und den Verfahrensbeteiligten bekannt gemacht:



In der Hauptverhandlung vom 28. März 2007 verurteilte der Strafrichter des Amtsgerichts die geständige Angeklagte wegen Betruges in zwölf Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Monaten ohne Bewährung. Im Protokoll der Hauptverhandlung heißt es, dass die Anklage mit Beschluss des Amtsgerichts Kusel vom 21. Februar 2007 zur Hauptverhandlung zugelassen und das Verfahren vor dem Strafrichter eröffnet worden sei.
Die Angeklagte hat gegen das Urteil des Amtsgerichts fristwahrend Berufung eingelegt. Die Berufungskammer des Landgerichts hat mit Beschluss vom 13. März 2008 das Verfahren gemäß § 206 a StPO mit der Begründung eingestellt, dass ein wirksamer Eröffnungsbeschlusses fehle. Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer sofortigen Beschwerde. Sie macht geltend, es könne kein Zweifel daran bestehen, dass der Richter die Anklage der Staatsanwaltschaft vom 5. Januar 2007 zur Hauptverhandlung habe zulassen wollen. Dafür spreche u. a., dass er einen Hauptverhandlungstermin bestimmt und dass auch die Geschäftsstelle das Formular als Eröffnungsbeschluss angesehen und davon ordnungsgemäße Ausfertigungen erteilt habe. Im Übrigen habe der Richter unter Ziffern 3 und 4 der Verfügung vom 21. Februar 2007 angeordnet, dass die Ladung "mit Beschluss zu 1)" der Angeklagten zugestellt werden und eine Terminsnachricht an die Staatsanwaltschaft "mit Beschluss zu 1)" erfolgen solle.
II.
Die Beschwerde der Staatsanwaltschaft hat keinen Erfolg.
Das Berufungsgericht hat zu Recht das Verfahren gegen die Angeklagte wegen eines Verfahrenshindernisses nach § 206 a StPO eingestellt. Dem Verfahren fehlt ein (wirksamer) Eröffnungsbeschluss. Die Behebung dieses Mangels war im Berufungsverfahren nicht mehr möglich.
1. Die Eröffnungsentscheidung ist keine bloße Formalie, sondern ein wesentlicher Bestandteil des in den §§ 199 bis 211 StPO geregelten Zwischenverfahrens. Dieses wird eingeleitet von der Staatsanwaltschaft durch Erhebung der öffentlichen Klage, und zwar in Form der Einreichung einer Anklageschrift beim zuständigen Gericht. Die abschließende Entscheidung des Gerichts, ob das Hauptverfahren eröffnet wird oder nicht, beendet das Zwischenverfahren.
Sinn und Zweck dieses dem Hauptverfahren vorgeschalteten Verfahrens besteht darin, dass das für die Hauptverhandlung zuständige Gericht als von der Anklagebehörde unabhängige Instanz in einem nicht öffentlichen Verfahren prüft, ob tatsächlich hinreichende Verdachtsgründe bestehen. Nur wenn dies der Fall ist, sind dem Angeschuldigten die mit einer öffentlichen Hauptverhandlung verbundenen Belastungen und Nachteile im persönlichen Bereich zumutbar.
Darüber hinaus kann das Gericht im Zwischenverfahren auf Antrag des Angeschuldigten (§ 201 StPO) oder zur besseren Aufklärung der Sache von Amts wegen (§ 202 StPO) die Vornahme einzelner Beweiserhebungen anordnen.
Die stattgebende Eröffnungsentscheidung hat grundlegende Bedeutung für das weitere Verfahren.
Durch die Zulassung der Anklage im Eröffnungsbeschluss wird das Hauptverfahren eingeleitet. Damit tritt die Rechtshängigkeit der Sache vor dem erkennenden Gericht ein und für die Verfolgung der Tat in einem anderen Verfahren entsteht ein Verfahrenshindernis. Der „Angeschuldigte“ wird im Sinne des Gesetzes zum "Angeklagten" (§ 157 StPO). Die Verfahrensherrschaft geht endgültig auf das Gericht über, das nunmehr "erkennendes Gericht" ist. Die Staatsanwaltschaft kann die Anklage grundsätzlich (Ausnahmen: §§153c Abs. 4, 153d Abs. 2, 153f Abs. 3 StPO) nicht mehr zurücknehmen (§ 156 StPO). Das durch den Eröffnungsbeschluss in Verbindung mit der Anklage konkretisierte historische Geschehen bestimmt als prozessuale Tat in persönlicher und sachlicher Hinsicht den Gegenstand des weiteren Verfahrens, an den das Gericht gebunden ist und den es durch seine Entscheidung erschöpfen muss. Eine Rücknahme des Eröffnungsbeschlusses ist grundsätzlich nicht möglich; das Verfahren muss stets durch gerichtliche Entscheidung, regelmäßig durch Urteil in der Sache, erledigt werden. Ferner wird die Zuständigkeit für das erkennende Gericht durch den Eröffnungsbeschluss und die im Eröffnungsverfahren nach den §§ 209, 209 a StPO möglichen Maßnahmen umfassend geprüft und vielfach festgelegt. Bei der Eröffnungsentscheidung werden die sachliche und örtliche sowie die Zuständigkeit besonderer Spruchkörper kraft Gesetzes letztmals insgesamt von Amts wegen geprüft. Danach ist nur noch die sachliche Zuständigkeit von Amts wegen zu beachten und gegebenenfalls zu korrigieren (§§ 225 a, 269, 270 StPO, § 47 a JGG); andere Zuständigkeitsmängel werden nur noch auf befristeten Einwand des Angeklagten beachtet (vgl. LR-Rieß StPO 25. Aufl. § 207 Rdnr. 3, 4).
Neben dieser funktionellen Bedeutung trifft das Gericht durch seine Eröffnungsentscheidung eine Aussage dahingehend, ob aufgrund der Ergebnisse des vorbereitenden Verfahrens der Angeschuldigte einer Straftat hinreichend verdächtig erscheint (§§ 207, 203 StPO). Wird der hinreichende Tatverdacht bejaht, bedeutet dies, dass nach vorläufiger Bewertung des Gerichts die Verurteilung mit Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist (Meyer-Goßner StPO 50. Aufl. § 203 Rdnr. 2 und § 170 Rdnr.1).
2. An sich berechtigen schwerwiegende Mängel des Verfahrens in der Regel nur zur Urteilsanfechtung und führen dann zur Urteilsaufhebung, wenn das Urteil auf ihnen beruht (§ 337 Abs. 1 StPO). Für bestimmte Verfahrensmängel stellt das Gesetz in den in § 338 Nrn.1 bis 7 StPO bezeichneten Fallgestaltungen die unwiderlegbare Vermutung auf, dass das Urteil darauf beruht (Meyer-Goßner a.a.O. § 338 Rdnr. 1).
a) Ein Verfahrenshindernis wird nur durch solche Umstände begründet, die es ausschließen, dass über einen Prozessgegenstand mit dem Ziel einer Sachentscheidung verhandelt werden darf (BGHSt 35, 137; BGH NStZ-RR 2002, 149 und 2003, 18). Sie müssen so schwer wiegen, dass von ihrem Vorhandensein oder Nichtvorliegen die Zulässigkeit des gesamten Verfahrens abhängig gemacht werden muss (vgl. KK-Pfeiffer StPO 5. Auflage Einleitung Rdnr. 131; LR-Rieß a.a.O. § 206a Rdnr. 24; Meyer-Goßner a.a.O. Einleitung Rdnr. 146; Rieß in JR 1985, 45).
Wegen der dargelegten grundlegenden Bedeutung für das gerichtliche Verfahren stellt der Erlass eines ordnungsgemäßen Eröffnungsbeschlusses eine Verfahrensvoraussetzung - genauer: eine Hauptverfahrensvoraussetzung - dar. Fehlt er oder ist er infolge von Mängeln zur Erfüllung der ihm zukommenden Funktion nicht geeignet und werden seine Mängel auch nicht (rechtzeitig) geheilt, so ist das Verfahren in jeder Lage von Amts wegen einzustellen (BGHSt 10, 137, 140; LR-Rieß a.a.O. § 207 Rn. 5 m.w.N.).
b) Zu den wesentlichen Förmlichkeiten eines Eröffnungsbeschlusses gehören seine schriftliche Abfassung und die Unterzeichnung durch den oder die zuständigen Richter (BGH DRiZ 1981, 343; BGH MDR 1977, 638; LR-Rieß a.a.O. § 207 Rdnr. 30). Aus Gründen der Rechtsicherheit und der Rechtsklarheit ist eine schriftliche Niederlegung erforderlich, denn nur damit ist gewährleistet, dass die Prozessvoraussetzung in jedem Stadium des Verfahrens von Amts wegen überprüft werden kann (OLG Düsseldorf NStZ-RR 2000, 114).
Dem Fehlen eines Eröffnungsbeschlusses steht es daher grundsätzlich gleich, wenn es an der Schriftlichkeit oder der erforderlichen Unterschrift mangelt oder wenn bei dem Beschluss nicht die erforderliche Zahl von Richtern mitgewirkt hat (LR-Rieß a.a.O. § 207 Rdnr. 41 a). Die fehlende Unterschrift ist allerdings unschädlich, wenn zweifelsfrei feststeht, dass die Eröffnungsentscheidung tatsächlich in schriftlicher Form getroffen worden ist (OLG Düsseldorf NStZ-RR 2000, 114; OLG Zweibrücken NStZ-RR 1998, 74).
3. In dem hier zu beurteilenden Fall hat das Berufungsgericht zutreffend angenommen, dass kein schriftlich dokumentierter Eröffnungsbeschluss vorhanden ist.
Zwar legen die Gesamtumstände nahe, dass der zuständige Richter bei Erlass seiner Termins- und Ladungsverfügung tatsächlich zugleich auch die Anklage der Staatsanwaltschaft zur Hauptverhandlung zulassen und das Verfahren vor ihm als Strafrichter eröffnen wollte. Ein zu vermutender dahingehender innerer Wille ist aber unbeachtlich, weil er nicht in entsprechender Form schriftlich dokumentiert worden ist. Die schriftliche Dokumentation muss grundsätzlich durch den Eröffnungsbeschluss erfolgen (vgl. BGH DRiZ 1981, 343). Daran fehlt es hier, so dass auch die Einholung einer dienstlichen Stellungnahme des Richters im Wege des Freibeweises zur Erforschung seines wirklichen Willens nicht in Betracht kommt.
a) Zwar ist die Verwendung von Vordrucken, auch wenn sie den Eröffnungsbeschluss mit einer Terminsbestimmung oder einer Ladungsverfügung kombinieren, grundsätzlich zulässig. Dabei muss aber eindeutig und klar der Wille des Gerichts erkennbar werden, das Hauptverfahren nach Prüfung der gesetzlichen Voraussetzungen dafür eröffnen zu wollen. Ein vorformulierter Eröffnungsbeschluss muss deshalb eindeutig abgefasst und vollständig ausgefüllt werden. Bei unvollständiger Ausfüllung eines Formulars ist er nur dann ordnungsgemäß erlassen, wenn der nur teilweise ausgefüllte Vordruck mit einer Unterschrift versehen wurde und sich die fehlenden Teile aus dem übrigen Inhalt, auch einer sich textlich anschließenden Terminsverfügung, unzweideutig ergänzen lassen (LR-Rieß a.a.O. § 207 Rdnr. 30 a).
b) Den vorstehend dargestellten Anforderungen genügt der unter Nr. 1 der Verfügung des Amtsgerichts Kusel vom 21. Februar 2007 vorformulierte „Eröffnungsbeschluss“ ersichtlich nicht. An dem ausschließlich aus einem Textbaustein bestehenden Beschlussfragment sind keine Hinzufügungen des Richters (in Bezug auf Aktenzeichen, Name der Angeklagten, nähere Bezeichnung der Anklage oder hinsichtlich des zuständigen Richters) angebracht. Aus sich heraus bietet der Textbaustein, der für eine unbestimmte Zahl von Fällen konzipiert ist, keinen einzigen schriftlichen Anhaltspunkt dafür, dass der Amtsrichter nach pflichtgemäßer und eigenständiger Prüfung am 21. Februar 2007 gerade das vorliegende Verfahren eröffnen wollte. Die fehlende schriftliche Eröffnungsentscheidung wird durch die auf dem Vordruck weiter enthaltene Ladungs- und Terminsverfügung nicht wirksam ersetzt, auch wenn sie der für die Eröffnung des Hauptverfahrens zuständige Strafrichter unterschrieben hat. Die Termins- und Ladungsverfügung setzt vielmehr einen wirksam gefassten Eröffnungsbeschluss voraus. Erforderlich bleibt aus Gründen der Rechtssicherheit, dass der Eröffnungsbeschluss aus sich heraus oder in Verbindung mit sonstigen Urkunden mit Sicherheit erkennen lässt, dass der zuständige Richter die Eröffnung des konkret in Rede stehenden Hauptverfahrens beschlossen hat. Der ausschließlich die Hauptverhandlung vorbereitenden Termins- und Ladungsverfügung kann jedenfalls unter den hier gegebenen Umständen weder eindeutig noch schlüssig entnommen werden, dass das Gericht (auch) einen Eröffnungsbeschluss fassen wollte und auch gefasst hat (vgl. OLG Zweibrücken NStZ-RR 1998, 74; OLG Hamm VRS 1998, 199; BayObLG NStZ-RR 2001, 139; OLG Hamm JR 1982, 389 mit Anmerkung von Meyer-Goßner; OLG Celle JR 1978, 347 mit Anmerkung von Peters).
c) Der notwendige Inhalt des „Eröffnungsbeschlusses“ konnte auch nicht nachträglich von der Geschäftsstelle ergänzt werden. Die (ordnungsgemäße) Abfassung der Eröffnungsentscheidung ist ureigenste Aufgabe des Richters. Die Geschäftsstelle hat in diesem Zusammenhang nur die Aufgabe, Ausfertigungen der schriftlichen Eröffnungsentscheidung des Richters zu erstellen sowie die Ladungs- und Terminsverfügungen auszuführen.
Eine Ausfertigung ist die amtliche Abschrift eines amtlichen Schriftstückes, die im Verkehr die (denknotwendig als existent vorausgesetzte) Urschrift ersetzen soll (vgl. auch §§ 47 ff Beurkundungsgesetz). Sie wird mit "Ausfertigung" überschrieben und enthält den Ausfertigungsvermerk ("für die Übereinstimmung mit der Urschrift"), Ort und Datum der Erteilung, Unterschrift und Dienstsiegel. Dies bedeutet, dass die Ausfertigung der Urschrift entsprechen muss. Daher muss der Wille des Richters vollständig in der Urschrift verkörpert sein, nicht erst in der durch die Geschäftsstelle erstellten Ausfertigung. Dies ist keine „lästige“ Formalie, da die Adressaten der Ausfertigung darauf vertrauen dürfen und auch müssen, dass die Ausfertigung mit der Urschrift übereinstimmt. Bei der – zulässigen – Verwendung von Vordrucken muss deshalb beachtet werden, dass der Richter als Urheber der Verlautbarung die Formulare vollständig und korrekt ausfüllt.
d) Auch die in der Sitzungsniederschrift des Amtsgerichts vom 28. März 2007 protokollierte Feststellung, die Anklage sei mit Beschluss vom 21. Februar 2007 zur Hauptverhandlung zugelassen und das Verfahren vor dem Strafrichter eröffnet worden, ist nicht geeignet den fehlenden schriftlichen Eröffnungsbeschluss zu ersetzen.
Unabhängig von der Frage, bis zu welchem Zeitpunkt in der ersten Instanz ein Eröffnungsbeschluss nachgeholt werden kann (vgl. BGHSt 29, 224), hat der Strafrichter ersichtlich keine nachholende Eröffnungsentscheidung getroffen, sondern lediglich festgestellt, dass eine solche (vermeintlich) vorhanden sei. Dies genügt nicht.
4. Die Nachholung des Eröffnungsbeschlusses ist nach Erlass des erstinstanzlichen Urteils nicht mehr möglich. Über die Eröffnung des Hauptverfahrens hat das Gericht erster Instanz zu entscheiden (§ 199 Abs.1 StPO). Das Rechtsmittelgericht ist dazu nicht befugt (vgl. BGHSt 33, 167; KK-Tolksdorf a.a.O. § 207 Rdnr. 21; LR-Rieß a.a.O. §207 Rdnr. 44a). Infolgedessen ist der unwirksame (fehlende) Eröffnungsbeschluss zu einem endgültigen, nicht mehr behebbaren Verfahrenshindernis geworden(BGHSt 29, 224, 228).
Das Berufungsgericht hat daher zu Recht, das Verfahren nach § 206 a StPO eingestellt (BGHSt 24, 208, 212; LR-Rieß a.a.O. § 207 Rdnr. 65 und § 206a Rdnr. 14ff; a.A. Meyer-Goßner a.a.O. § 206a StPO Rdnr. 6).
Unbeschadet davon ist die erneute strafrechtliche Inanspruchnahme der Beschuldigten nicht ausgeschlossen (vgl. LR-Rieß a.a.O. § 207 Rdnr. 66-68; KK-Tolksdorf a.a.O. § 207 Rdnr. 33; Meyer-Goßner a.a.O. § 207 Rdnr. 12).
5. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 473 Abs. 1 und Abs. 2 StPO.
Petry Maurer Christoffel

Donnerstag, 5. Juni 2008

T-Mobile: Wir haben Ihre Kündigung wieder zurückgenommen - Ihr Vertrag bleibt unverändert bestehen

Frechheit hat einen Namen: T-Mobile. Päckchen von T-Mobile an den Kunden, der seinen Vertrag wirksam gekündigt hat. Beendigungszeitpunkt unstrittig: Mitte Juni 2008.
Am 4. Juni trifft ein Päckchen ein, das ein Telefon Samsung SGH J 700 enthält. So steht es jedenfalls auf der ungeöffnet gebliebenen Verpackung. Weiter liegen im Päckchen: ein Schreiben und eine Rechnung von T-Mobile vom 2. Juni 2008. "Thema: Ihr T-Mobile-Vertrag bleibt bestehen" ...Es freut uns sehr, dass Sie sich entschieden haben, weiter mit T-Mobile zu telefonieren! "Wir haben Ihre Kündigung zurückgenommen - Ihr Vertrag bleibt unverändert bestehen. ....."

Dazu noch eine Rechnung mit angegebenem "Ihr Bestelldatum: 02.06.2008" über 12,90 Euro und dem freundlichen Hinweis: "Der Betrag wird von Ihrem Konto abgebucht" und als Krönung: "Ihr Vertrag verlängert sich um 24 Monate".

Da der Kunde weder am 2. Juni 2008 noch zu irgend einem anderen Zeitpunkt Erklärungen über die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses abgegeben, noch eine Bestellung über ein Telefongerät noch irgend eine andere Bestellung aufgegeben hatte, nicht einmal ein "Service-Anruf" von T-Mobile, der bisweilen als Abzockermasche läuft, fand statt, wurde T-Mobile vom Kunden per Telefax verboten, wie angekündigt, von der Einzugsermächtigung aus dem bisherigen Vertragsverhältnis für die o.a. Rechnungsforderung Gebrauch zu machen.

Gleichzeitig wurde T-Mobile mitgeteilt, dass das unverlangt übersandte Gerät nach telefonischer Anmeldung wieder abgeholt werden kann.

Ich frage mich, ob T-Mobile dieses Spielchen mit System betreibt.

424 Sicherungsverwahrte in Deutschland (Stand: 31.12.2007)

In Deutschland waren Ende 2007 insgesamt 424 Personen auf Grund rechtskräftiger gerichtlicher Entscheidung in Sicherungsverwahrung. Aufgeschlüsselt in Bundesländer:

Baden- Württemberg 68
Bayern 53
Berlin 23
Brandenburg 4
Bremen –
Hamburg 21
Hessen 36
Mecklenburg- Vorpommern 2
Niedersachsen 33
Nordrhein-Westfalen 130
Rheinland-
Pfalz 26
Saarland –
Sachsen 9
Sachsen -
Anhalt 5
Schleswig- Holstein 13
Thüringen 1
Deutschland insgesamt 424

Einzelheiten: hier

Dienstag, 3. Juni 2008

Zwangssicherungshypothek nach Titel gegen GbR

Warten auf den Bundesgerichtshof. Nach der Rechtsauffassung des Kammergerichts
"stehen der Eintragung der GbR als Gläubiger der Zwangshypothek unter ihrer namentlichen Bezeichnung im Urteilsrubrum keine zwingenden Vorschriften des Grundbuchrechts entgegen. Zwar ist die Eintragung der GbR als Berechtigte in § 15 Abs. 1 GBV nicht vorgesehen; vielmehr geht § 15 Abs. 3 GBV davon aus, dass die Gesellschafter gemäß § 47 GBO als Berechtigte einer Gesamthandsgesellschaft eingetragen werden. Das schließt es aber nicht aus, jedenfalls die nach § 867 ZPO zu vollziehende Eintragung nach Maßgabe der §§ 313 Abs. 1 Nr. 1, 750 Abs. 1 Satz 1 ZPO vorzunehmen; denn die GBO regelt den Fall der Zwangsvollstreckung nicht."
Beschluss Geschäftsnummer: 1 W 319/06; 86 T 405/06 Landgericht Berlin; Gr.AG Schöneberg Bl. 5932

Wegen Abweichung von anderslautenden OLG-Entscheidungen hat das Kammergericht die Sache dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung vorgelegt.

Anwaltsvortrag und Anlagen zum Schriftsatz im Zivilprozess

Im Anwalts-Zivilprozess müssen auch vorbereitende Schriftsätze vom Rechtsanwalt durch seine Unterschrift legitimiert werden. Manchmal extrem ausführliche schriftliche Ausführungen der Parteien können als Anlagen beigefügt werden. Beachtlich sind die Anlagen im Zivilprozess aber nicht immer. Der BGH fasst die gewachsene Rechtsprechung zur Beifügung von Anlagen und die Zulässigkeit der Bezugnahme auf Anlagen in seinem Urteil vom 06.05.2008 - X ZR 28/07 - übersichtlich zusammen:

"Zweck des Anwaltszwangs nach § 78 Abs. 1 ZPO ist es, dass der Prozessstoff durch einen Rechtsanwalt gefiltert und aufbereitet wird. Dazu ist es erforderlich, dass ein mit dem Verfahren vertrauter Rechtsanwalt dem Gericht und dem Gegner den Sachverhalt nach Durcharbeitung des Prozessstoffs vorträgt (BGH, Beschl. v. 24.01.2008 - IX ZB 258/05; Beschl. v. 23.06.2005 - V ZB 45/04, NJW 2005, 2709).Dem Anwaltszwang unterliegt auch die Abfassung vorbereitender Schriftsätze nach § 130 ZPO. Diese sollen die Angabe der zur Begründung der Anträge dienenden tatsächlichen Verhältnisse und der Beweismittel sowie die Erklärung über die Behauptungen des Gegners enthalten. Ob und in welchen Fällen dabei eine Bezugnahme auf Anlagen zuzulassen ist, ist eine Frage, die nur im Einzelfall beantwortet werden kann. Unzulässig ist jedenfalls eine pauschale Bezugnahme auf Anlagen, die es dem Gericht überlässt, die Tatsachen zu ermitteln, auf die die Partei ihre Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung stützt (BGH, Urt. v. 17.07.2003 - I ZR 295/00, BGH-Report 2003, 1438; Lange, NJW 1989, 438, 441; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, 22. Aufl., § 130 Rdn. 9; Musielak/Stadler, ZPO, 5. Aufl., § 130 Rdn. 10; Zöller/Greger, ZPO, 26. Aufl., § 130 Rdn. 2). Eine Bezugnahme kann aber zulässig sein, wenn die Wiedergabe des in der Anlage dargestellten Sachverhalts eine bloße Wiederholung wäre und die Anlage ebenso verständlich ist wie die Wiedergabe dieser Angaben im Schriftsatz selbst (BGH, Urt. v. 17.07.2003, aaO). Ob danach die Bezugnahme auf Anlagen prozessordnungsgemäßer Vortrag ist, beantwortet sich vor allem danach, ob der Vortrag aus sich heraus verständlich ist. Hier ist die Würdigung des Landgerichts und ihm folgend des Berufungsgerichts, dass die Bezugnahme auf die schriftliche Stellungnahme des Geschäftsführers der Beklagten zu 2 den Anforderungen an prozessordnungsgemäßen Vortrag nicht genüge, nicht rechtsfehlerhaft. Dabei ist nicht der vom Berufungsgericht hervorgehobene Umfang der Anlagen das entscheidende Kriterium. Es fehlt der Stellungnahme des Geschäftsführers der Beklagten zu 2 eine Aufbereitung des Sachverhalts, die es dem Gegner und dem Gericht ermöglicht hätte zu erkennen, worin jeweils das Verteidigungsvorbringen der Beklagten zu den einzelnen Rechnungspositionen bestehen sollte. Dies ergibt sich aus den stichwortartigen Anmerkungen jedenfalls nicht ohne Weiteres und von selbst. Erstmals in der Berufungsbegründung wird diese Stellungnahme erläutert und damit verständlich. Diese in der Berufungsbegründung vorgenommene Aufbereitung des Prozessstoffes ist aber Aufgabe des Prozessbevollmächtigten; sie kann nicht durch die Bezugnahme auf Anlagen auf den Gegner und/oder das Gericht abgewälzt werden."

Montag, 2. Juni 2008

Sie haben gewonnen - auch den Zivilprozess

Das Amtsgericht Lahnstein und das Landgericht Koblenz haben der Empfängerin eines der vielen Schreiben mit Gewinnversprechen Recht gegeben und den Absender des Schreibens rechtskräftig zur Zahlung verurteilt.

Die Pressemitteilung des Landgerichts Koblenz:

Die Klägerin aus dem Kreis Bitburg-Prüm erhielt im Februar 2007 ein Schreiben, das mit den Worten: „Ganz Deutschland hat mitgemacht = Sie haben gewonnen !“ überschrieben war. Darunter befand sich in kleiner Schrift der Zusatz „Einladung der Gewinner 5.-555. Preis“. In dem Schreiben heißt es weiter:
„Sehr geehrte Frau … [Klägerin], wir haben heute die wundervolle Aufgabe, Ihnen
Frau...[Klägerin], mitteilen zu dürfen, dass sich die Teilnahme an unserem Gewinnspiel auch für Sie gelohnt hat. Sie … sind ein Gewinner. …“. In einem
anschließenden „Auszug aus der Gewinnerliste“ sind die Gewinner der Preise 1-4
namentlich genannt. Als Gewinner des 3. Preises („8 x 1.500 Euro in bar (pers.
Überg.)“) ist der Name der Klägerin angegeben. Im Folgenden ist ausgeführt, dass
die Gewinnübergabe im Rahmen einer Busfahrt erfolgen sollte, für die ein Anmeldecoupon beigefügt war. Die Klägerin meldete sich an, erhielt den vermeintlichen Gewinn jedoch nicht. Absender des Schreibens und Adressat der
Anmeldekarte für die Busfahrt war ein „Reservierungsservice, Postfach …“ im
Gerichtsbezirk Lahnstein. Der Beklagte, der dort einen Buchungs- und Reservierungsservice gewerblich betreibt, hat das Postfach eingerichtet.
Die Klägerin hat von dem Beklagten Zahlung von 1.500 Euro nebst Zinsen verlangt. Der Beklagte hat vorgetragen, er habe das Postfach für ein in der Schweiz ansässiges Unternehmen eingerichtet, das Verkaufsveranstaltungen durchführe; der Inhalt der Gewinnmitteilung sei ihm nicht bekannt gewesen. Das Amtsgericht hat der Klage durch Urteil vom 14.01.2008 stattgegeben. Auf die Berufung deBeklagten hat das Landgericht Koblenz das Urteil durch Beschluss vom 29.04.2008 bestätigt und die Berufung zurückgewiesen.
Die Voraussetzungen des § 661 a BGB als Grundlage des Anspruchs der Klägerin (Gesetzestext nachfolgend abgedruckt) sind nach Auffassung der Richter erfüllt. Insbesondere muss sich der Beklagte als Inhaber des Postfachs an der im Schreiben versprochenen Leistung festhalten lassen. Wie das Amtsgericht und das Berufungsgericht übereinstimmend ausgeführt haben, ist entscheidend, dass das Schreiben aus der Sicht eines „objektiven Empfängers“ eine Gewinnzusage enthielt und dass der Beklagte unter seiner Firma „Reservierungsservice“ als Inhaber des Postfachs und damit als für das Schreiben verantwortliche Person benannt gewesen sei. Nach Auffassung der Berufungskammer sei der Beklagte auch dann zur Leistung verpflichtet, wenn er, wie von ihm vorgetragen, von dem Inhalt des Schreibens keine Kenntnis gehabt hätte; in diesem Falle sei eine Haftung aus der über sein Postfach vertriebenen Gewinnzusage nach den Grundsätzen der Duldungsvollmacht sowie der Anscheinsvollmacht (Rechtsscheinhaftung) begründet. Hierfür spreche auch, dass die aufgrund der Gewinnzusage erfolgten Veranstaltungen unstreitig in dem Hotel des Beklagten stattgefunden hätten. Der Beklagte ist deshalb zur Zahlung des in dem Schreiben versprochenen Gewinns von 1.500 Euro (nebst Zinsen) verpflichtet.

Ein weiteres Rechtsmittel ist gegen den Beschluss des Landgerichts nicht
eröffnet.

§ 661 a BGB [Gewinnzusagen] lautet wie folgt:

Ein Unternehmer, der Gewinnzusagen oder vergleichbare Mitteilungen an Verbraucher sendet und durch die Gestaltung dieser Zusendungen den Eindruck erweckt, dass der Verbraucher einen Preis gewonnen hat, hat dem Verbraucher diesen Preis zu leisten.


Landgericht Koblenz, 12. Zivilkammer
Beschluss vom 29.04.2008 - Aktenzeichen: 12 S 30/08 – Landgericht Koblenz
2 C 497/07 – Amtsgericht Lahnstein

Fogging

Schwarzstaubablagerungen ("Fogging") in Mietwohnungen müssen vom Vermieter beseitigt werden, selbst wenn es der Mieter in der Hand hätte, die Ablagerungen durch Verlegung von handelsüblichen Teppichen und Fensterputzen im Winter die Ablagerungen weitgehend zu verhindern, weil ohne diese Maßnahmen immer noch ein vertragsgemäßer Verbrauch vorliege.

Die Pressemitteilung des BGH zu der noch nicht veröffentlichten Entscheidung:

Die Klägerin ist Mieterin einer Wohnung in einem Mehrfamilienhaus der Beklagten in Berlin. In der Wohnung traten Anfang Dezember 2002 plötzlich Schwarzstaubablagerungen ("Fogging") auf, zunächst in geringem Umfang in der Küche, dem Bad und den Zimmern der Wohnung. Bis Februar 2003 verbreiteten sich die Ablagerungen auf sämtliche Decken und Wände. Die Klägerin forderte die Beklagten erfolglos zur Beseitigung der Schwarzverfärbungen auf. Mit der Klage hat die Klägerin Zahlung eines Vorschusses für die Kosten der Beseitigung der Verfärbungen in Höhe von 5.423 € verlangt. Dieser Betrag entspricht dem Kostenvoranschlag durch einen Fachbetrieb.

Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Landgericht die Beklagten antragsgemäß verurteilt.

Der unter anderem für das Wohnraummietrecht zuständige VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat die vom Berufungsgericht zugelassene Revision der Beklagten zurückgewiesen. Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass der Klägerin ein Anspruch auf Vorschuss in Höhe der voraussichtlich zur Mängelbeseitigung erforderlichen Kosten zusteht. Das Berufungsgericht hat in den plötzlich aufgetretenen Schwarzverfärbungen zu Recht einen Mangel der Mietsache im Sinne des § 536 BGB gesehen. Dessen Beseitigung schulden die Beklagten als Vermieter gemäß § 535 Abs. 1 Satz 2 BGB unabhängig davon, ob die Ursache des Mangels in ihrem eigenen oder im Gefahrenbereich der Klägerin zu suchen ist. Anders wäre es nur dann, wenn die Klägerin die Entstehung des Mangels zu vertreten hätte. Das ist hier jedoch nicht der Fall. Nach dem vom Berufungsgericht eingeholten Sachverständigengutachten kommen als Ursache der Ablagerungen zwar lediglich Maßnahmen der Klägerin in Betracht, nämlich die Ausstattung der Wohnung mit einem handelsüblichen Teppich, das Streichen der Wände mit handelsüblichen Farben und das Reinigen der Fenster im Winter. Diese Maßnahmen stellen sich jedoch sämtlich als vertragsgemäßer Gebrauch der Mietsache dar, dessen Folgen der Mieter nicht zu vertreten hat (§ 538 BGB).

Urteil vom 28. Mai 2008 - VIII ZR 271/07

AG Schöneberg - Urteil vom 19. September 2006 - 11 C 303/03

LG Berlin - Urteil vom 14. September 2007 - 63 S 359/06

Karlsruhe, den 28. Mai 2008

Pressestelle des Bundesgerichtshofs
76125 Karlsruhe

Sonntag, 1. Juni 2008

Grundbucheintragungsmitteilung bei Vermieterwechsel zu empfehlen

Bei Vermieterwechsel durch Veräußerung beginnt die Verjährungsfrist von 6 Monaten gemäß § 548 Absatz 2 BGB für die Geltendmachung von Ansprüchen des Mieters auf Ersatz von Aufwendungen oder Gestattung der Wegnahme einer Einrichtung (normalerweise Verjährung binnen 6 Monaten nach Beendigung des Mietverhältnisses) erst mit der Kenntnis von der Eintragung des neuen Eigentümers in das Grundbuch. Dem Mieter sollte also bei Veräußerung eines vermieteten Grundstücks oder eines Objektes mit vermieteten Wohnungen nicht nur, wie üblich, mitgeteilt werden, dass eine Veräußerung stattgefunden hat, sondern später auch, dass die erfolgte Eintragung des Eigentumswechsels in das Grundbuch erfolgt ist, wenn in die Übergangszeit ein Mietverhältnis endet, um die Verjährungsfrist des § 548 Absatz 2 BGB in Gang zu setzen.

Die Presseerklärung zur noch nicht veröffentlichten Entscheidung des Bundesgerichtshofs:

Die Kläger verlangten von der Beklagten, ihrer damaligen Wohnungsvermieterin, im September 2005 Erstattung von Kosten für bestimmte mietvertraglich vereinbarte Aufwendungen. Die Beklagte lehnte das ab und teilte mit, dass sie das Hausgrundstück verkauft habe. Am 21. Februar 2006 wurde der Erwerber als neuer Eigentümer in das Grundbuch eingetragen. Die von den Klägern erhobene Klage auf Aufwendungsersatz ging am 22. August 2006 bei dem Amtsgericht ein. Die Beklagte hat die Einrede der Verjährung erhoben. Klage und Berufung sind aus diesem Grund ohne Erfolg geblieben.

Auf die vom Berufungsgericht zugelassene Revision der Kläger hat der unter anderem für das Wohnraummietrecht zuständige VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass die bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts nicht ausreichen, einen etwaigen Erstattungsanspruch der Kläger als verjährt anzusehen.

Der von den Klägern geltend gemachte Anspruch auf Ersatz von Aufwendungen verjährt zwar gemäß § 548 Abs. 2 BGB in sechs Monaten nach Beendigung des Mietverhältnisses. Dabei kommt es auf dessen rechtliche Beendigung an. Maßgeblich ist somit die Eintragung der Erwerber in das Grundbuch am 21. Februar 2006.

Anders als das Berufungsgericht gemeint hat, beginnt die Sechsmonatsfrist des § 548 Abs. 2 BGB bei einer Veräußerung der Mietsache jedoch erst mit der Kenntnis des Mieters von der Eintragung des Erwerbers in das Grundbuch. Ohne dieses zusätzliche Erfordernis der Kenntnis könnten die Ansprüche des Mieters verjähren, ohne dass er etwas von den tatsächlichen Voraussetzungen des Verjährungsbeginns erfährt. Es genügt nicht, dass der Mieter - wie hier - allgemein Kenntnis von dem Verkauf des Grundstücks hat. Auch dann muss er weder mit einer baldigen Eintragung des Erwerbers in das Grundbuch rechnen noch eigene Erkundigungen über den Eintragungszeitpunkt einziehen, denn eine Grundbucheintragung kann sich aus den unterschiedlichsten Gründen verzögern. Das Berufungsgericht wird daher festzustellen haben, wann die Kläger von der Eintragung des Erwerbers in das Grundbuch Kenntnis erlangt haben.

Urteil vom 28. Mai 2008 - VIII ZR 133/07

AG Tempelhof-Kreuzberg - 11 C 288/06 - Urteil vom 13. November 2006

LG Berlin - 62 S 338/06 - Urteil vom 5. April 2007

Karlsruhe, den 28. Mai 2008

Pressestelle des Bundesgerichtshofs
76125 Karlsruhe




Vorkaufsrecht und Kündigungsschutz für Reihenhausmieter

Mieter von Reihenhäusern werden nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs wie Mieter von Eigentumswohnungen geschützt. Ihnen steht in entsprechender Anwendung des § 577 BGB ein Vorkaufsrecht zu und eine Kündigungsbeschränkung gemäß § 577 a BGB ist entsprechend anzuwenden.


Der Gesetzestext der §§ 577 und 577 a BGB:

§ 577 BGB
(1) 1Werden vermietete Wohnräume, an denen nach der Überlassung an den Mieter Wohnungseigentum begründet worden ist oder begründet werden soll, an einen Dritten verkauft, so ist der Mieter zum Vorkauf berechtigt. 2Dies gilt nicht, wenn der Vermieter die Wohnräume an einen Familienangehörigen oder an einen Angehörigen seines Haushalts verkauft. 3Soweit sich nicht aus den nachfolgenden Absätzen etwas anderes ergibt, finden auf das Vorkaufsrecht die Vorschriften über den Vorkauf Anwendung.
(2) Die Mitteilung des Verkäufers oder des Dritten über den Inhalt des Kaufvertrags ist mit einer Unterrichtung des Mieters über sein Vorkaufsrecht zu verbinden.
(3) Die Ausübung des Vorkaufsrechts erfolgt durch schriftliche Erklärung des Mieters gegenüber dem Verkäufer.
(4) Stirbt der Mieter, so geht das Vorkaufsrecht auf diejenigen über, die in das Mietverhältnis nach § 563 Abs. 1 oder 2 eintreten.

§ 577 a BGB
(1) Ist an vermieteten Wohnräumen nach der Überlassung an den Mieter Wohnungseigentum begründet und das Wohnungseigentum veräußert worden, so kann sich ein Erwerber auf berechtigte Interessen im Sinne des § 573 Abs. 2 Nr. 2 oder 3 erst nach Ablauf von drei Jahren seit der Veräußerung berufen.
(2) 1Die Frist nach Absatz 1 beträgt bis zu zehn Jahre, wenn die ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit Mietwohnungen zu angemessenen Bedingungen in einer Gemeinde oder einem Teil einer Gemeinde besonders gefährdet ist und diese Gebiete nach Satz 2 bestimmt sind. 2Die Landesregierungen werden ermächtigt, diese Gebiete und die Frist nach Satz 1 durch Rechtsverordnung für die Dauer von jeweils höchstens zehn Jahren zu bestimmen.
(3) Eine zum Nachteil des Mieters abweichende Vereinbarung ist unwirksam.

Pressemitteilung über die Entscheidung des Bundesgerichtshofs (Text der Entscheidung hier):

Die Klägerin ist Mieterin eines Reihenhauses in der "Lentze Siedlung" in Berlin. Die beklagte Vermieterin ist seit Anfang März 2005 Eigentümerin des ungeteilten Gesamtgrundstücks der Siedlung. Die Beklagte möchte das Gesamtgrundstück in Einzelgrundstücke real aufteilen und diese veräußern. Die Klägerin hat Klage auf Feststellung erhoben, dass ihr für diesen Fall ein Vorkaufsrecht nach § 577 BGB und Kündigungsschutz gemäß § 577a BGB zustehe.

Die Vorinstanzen haben die Klage mit der Begründung abgewiesen, nach dem Wortlaut der §§ 577, 577a BGB stünden die dort bezeichneten Rechte dem Mieter nur im Falle der Begründung von Wohnungseigentum, nicht aber im Falle einer Realteilung zu.

Die vom Bundesgerichtshof zugelassene Revision der Klägerin hatte Erfolg. Der unter anderem für das Wohnraummietrecht zuständige VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass der Mieter eines Reihenhauses auch dann gemäß § 577 BGB zum Vorkauf berechtigt ist und Kündigungsschutz nach Maßgabe des § 577a BGB genießt, wenn der Vermieter eine Realteilung des Gesamtgrundstücks beabsichtigt. Insoweit liegt eine Gesetzeslücke vor, die - anders als das Berufungsgericht gemeint hat - durch entsprechende Anwendung der §§ 577, 577a BGB zu schließen ist. Es kann nicht angenommen werden, dass der Gesetzgeber den Mieter zwar bei Umwandlung in Wohnungseigentum schützen wollte, bei realer Teilung eines Gesamtgrundstücks aber bewusst vom Schutz des Mieters abgesehen hat. Die Interessenlage ist in beiden Fällen (Umwandlung in Wohnungseigentum einerseits, Realteilung eines Grundstücks andererseits) im Wesentlichen gleich. Aus der Sicht des Mieters macht es keinen Unterschied, ob das von ihm gemietete Reihenhaus in Wohnungseigentum umgewandelt oder durch reale Teilung Bestandteil eines selbständigen Grundstücks wird. In beiden Fällen steht dem Mieter nach dem Verkauf ein neuer Vermieter gegenüber, der sich - soweit die sonstigen Voraussetzungen gegeben sind - auf Eigenbedarf berufen könnte. Auch das Interesse des Mieters, durch Ausübung des Vorkaufsrechts selbst das Eigentum an dem von ihm bewohnten Reihenhaus zu erwerben, ist im Falle einer Realteilung nicht geringer als im Falle der Umwandlung in Wohnungseigentum.

Urteil vom 28. Mai 2008 - VIII ZR 126/07

AG Schöneberg - Urteil vom 30. Mai 2006 - 4 C 5/06

LG Berlin - Urteil vom 23. Februar 2007 - 63 S 287/06