Die taz berichtet: Es ist der wohl größte noch vor Gericht anhängige Rückgabestreit in Ostdeutschland. Im Südwesten von Berlin, hinter Zehlendorf, in der Sommerfeld-Siedlung in Kleinmachnow, wird über knapp 1.000 Grundstücke gestritten. Der Streit währt schon fast zehn Jahre, und ein Ende ist nicht abzusehen. Denn der geschäftstüchtige Berliner Immobilienkaufmann Christian Meyer, will sein Ding durchziehen. Und bisher hat er meist gut taktiert.
Benannt ist die umstrittene Siedlung nach dem Unternehmer und Architekten Adolf Sommerfeld. Seine Siedlungsgesellschaft wollte Anfang der 30er-Jahre des letzten Jahrhunderts Grundstücke parzellieren und an Bauwillige verkaufen. Es war ein modernes Konzept: Angestellte und einfache Beamte sollten sich ein kleines Häuschen im Grünen leisten können.
Doch Sommerfeld war Jude. Nach der NS-Machtergreifung kam es zu einem Überfall der SA auf Sommerfelds Wohnhaus. Kurzentschlossen flüchtete der Unternehmer im April 1933 aus Deutschland. Seine Siedlungsgesellschaft wurde arisiert. Der Verkauf der Grundstücke ging trotzdem weiter.
Seit einigen Jahren fordert der Berliner Immobilienkaufmann Christian Meyer die Rückgabe der Grundstücke - obwohl er mit Adolf Sommerfeld nicht verwandt ist und auch sonst keine Beziehungen zum Judentum hat. Der eloquente Ökonom hat in den 70er-Jahren in West-Berlin studiert, war damals in der marxistischen Forschung engagiert und machte sich dann als Immobilienentwickler selbständig. Nach der Wende sah er neue Geschäftsfelder in Ostdeutschland. Er suchte die Erben von vermeintlich herrenlosen Grundstücken, die ihm dafür einen Teil des Werts auszahlten. So kam er auch mit den Erben Adolf Sommerfelds in Kontakt, die inzwischen in die ganze Welt zerstreut lebten.
Die Grundstücke in der Sommerfeld-Siedlung waren zwar nicht herrenlos, sie gehörten ja den Käufern von einst oder deren Nachkommen. Doch Meyer sah die Chance auf eine groß angelegte Rückgabeforderung. Die Sommerfeld-Angehörigen traten ihm 1995 alle Rechte ab - gegen eine unbekannte Basiszahlung und eine Beteiligung an eventuellen Erlösen. Sie selbst hätten keinen Rückgabeantrag mehr stellen können. Denn die Frist für solche Anträge war Ende 1992 abgelaufen.
Deshalb wandte sich Meyer an die Jewish Claims Conference (JCC), die gesetzliche Nachfolgeorganisation für unbeanspruchtes ehemaliges jüdisches Eigentum im Beitrittsgebiet. Sie hatte Ende 1992 per Globalanmeldung Ansprüche auf alle bekannten und unbekannten exjüdischen Immobilien angemeldet und verlangte nun auch die Rückgabe der rund 1.000 Sommerfeld-Grundstücke. Aus den Erlösen ihrer Einnahmen finanziert die JCC gewöhnlich Hilfsmaßnahmen für Holocaust-Überlebende vor allem in Israel und den USA. Sie hatte jedoch auch einen Goodwill-Fonds für Erben eingerichtet, die sich verspätet meldeten. Auf Zahlungen aus diesem Fonds spekulierte Meyer, der ja inzwischen Inhaber der Ansprüche der Sommerfeld-Erben war.
Doch nun reagierte der Gesetzgeber. Auf Betreiben der Brandenburger Landesregierung, die Eigentümer und Bewohner der Sommerfeld-Siedlung beruhigen wollte, wurde 1997 eine "Lex Kleinmachnow" ins Vermögensgesetz eingefügt. Sie sollte Rückgabeansprüche ausschließen, wenn es sich um Flächen handelt, die von einer Siedlungsgesellschaft verkauft worden waren. Das Argument: Die Grundstücke sollten ja nach dem ursprünglichen Geschäftsplan ohnehin verkauft werden.
Der JCC wurde die Sache jetzt zu heiß. Es gab zwar schon damals verfassungsrechtliche Zweifel an der "Lex Kleinmachnow", weil sie ähnliche Parzellierungen durch Privatleute oder Unternehmen nicht erfasste. Doch die Claims Conference wollten das Gesetz nicht beim Bundesverfassungsgericht angreifen. Zu sehr war man auf die Kooperation der damaligen Kohl-Regierung in anderen Fragen angewiesen, etwa bei jüdischen Fremdrenten. Also trat auch sie ihre Ansprüche an Meyer ab. Angeblich sogar kostenlos, weil der Immobilienkaufmann bei einem Erfolg etwas an die Sommerfeld-Erben abgeben muss.
Seither klagt Meyer gegen die im Grundbuch eingetragenen Eigentümer. Nach Angaben des Potsdamer Verwaltungsgerichts waren zum Jahreswechsel noch 867 Streitfälle bei dem Gericht anhängig. Meyer ist vor allem am Abschluss von Vergleichen mit den Eigentümern interessiert. In etwa 100 Fällen hatte er schon Erfolg. Die Eigentümer wollten einfach ihre Ruhe haben und risikolos ihre Häuschen modernisieren. Sie zahlen sechsstellige Summen an Meyer, damit er seine jeweilige Klage fallen lässt. Andere sind noch stur und hoffen auf einen Erfolg vor Gericht.
Im Dezember wollte das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig eigentlich ein Grundsatzurteil fällen. Doch unter kuriosen Umständen hat Meyer dies kurzfristig verhindert. Das Musterverfahren betraf ein Grundstück in der Straße "Am Brodberg". In der ersten Instanz hatte Meyer den Prozess gewonnen. Doch er drängte die Eigentümerin, Frau T., mit der er sich längst verglichen hatte, zur Revision und übernahm auch ihre Prozesskosten. Er wollte ein Präzedenzurteil des Bundesverwaltungsgerichts erreichen. Erst eine Woche vor dem Leipziger Urteil kam die Kehrtwendung. Nun bat Meyer Frau T., die Revision wieder zurückzuziehen. Angeblich hatte er in der mündlichen Verhandlung festgestellt, dass der Fall doch nicht für ein Grundsatzurteil taugte. Jedenfalls hatte Meyer den richtigen Riecher. Nach taz-Informationen hätte der Kaufmann den Prozess beim Bundesverwaltungsgericht verloren. Die Richter hätten - anders als die Vorinstanz - die Lex Kleinmachnow angewandt und so die Rückgabe der Grundstücke ausgeschlossen.
Meyer findet die Aufregung um das verhinderte Grundsatzurteil jedoch übertrieben. Bei einer Niederlage in Leipzig hätte er den Fall eben zum Bundesverfassungsgericht nach Karlsruhe getragen, sagt er. Rechtssicherheit hätte es also ohnehin noch keine gegeben.
"Unmoralisch" findet dagegen Klaus-Jürgen Warnick, PDS-Gemeinderat in Kleinmachnow, das Verhalten von Meyer, dem es "nur ums Geld" gehe. Darin sind sich in der Sommerfeld-Siedlung wohl auch alle einig: selbstnutzende Eigentümer ebenso wie Erben, die im Westen wohnen und selbst Vereinigungsgewinnler sind. Auch die Mieter, deren Mietverträge von einem Eigentümerwechsel oder einem Vergleich eigentlich unberührt bleiben, sind wütend. Sie fürchten Mieterhöhungen oder gar Mobbing, falls die Grundstücke zu Geld gemacht werden sollen.
Derweil laufen am Verwaltungsgericht Potsdam neue Prozesse. In einigen Einzelfällen hat Meyer Mitte Februar wieder gewonnen. Vermutlich wird der Streit aber noch Jahre währen und wohl doch erst beim Bundesverfassungsgericht beendet sein - wenn die Eigentümer überhaupt so lange durchhalten. Meyer wird jedenfalls nicht aufgeben. Er dürfte schon prima leben können, wenn er pro Jahr nur eine Hand voll Vergleiche schließt.
taz Berlin lokal Nr. 7623 vom 24.3.2005, Seite 28, 235 Zeilen (TAZ-Bericht), CHRISTIAN RATH
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