Freitag, 30. September 2005

Acht Jahre Untersuchungshaft sind zu lang

Das Bundesverfassungsgericht hat zum Ausdruck gebracht, dass das Freiheitsgrundrecht (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG) in Haftsachen eine angemessene Beschleunigung des gesamten Strafverfahrens bis zu dessen rechtskräftigen Abschluss erfordere. In einem am 23.9.2005 entschiedenen Extremfall - BVerfG, 2 BvR 1315/05 - ging um einen Angeklagten, der sich seit dem 2. August 1997 in Untersuchungshaft befindet. Ihm liegt zur Last, im Juli 1997 vorsätzlich eine Gasexplosion herbeigeführt zu haben, die das dem Beschwerdeführer gehörende Mietwohnhaus vollständig zerstörte, sechs Hausbewohner tötete und zwei weitere schwer verletzte. Nach einer Verfahrensdauer von über
vier Jahren verurteilte ihn das Landgericht am 16. August 2001 wegen Herbeiführens einer Sprengstoffexplosion mit Todesfolge mit sechsfachem Mord und zweifachem Mordversuch zu lebenslanger Freiheitsstrafe. Gleichzeitig wurde ausgesprochen, dass die Schuld des Beschwerdeführers besonders schwer wiege.

Gegen dieses Urteil legte der Beschwerdeführer Revision ein, die er im März 2002 begründete. Die Bundesanwaltschaft nahm hierzu am 30. September 2002 Stellung. Der Bundesgerichtshof bestimmte Termin zur Hauptverhandlung über die Revision auf den 10. Juli 2003. Mit Urteil vom 24. Juli 2003 hob er das Urteil des Landgerichts wegen eines Verstoßes gegen das Verfahrensrecht auf und verwies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurück. Es wurde ein Beweisverwertungsverbots festgestellt, dass vom Landgericht missachtet worden war. Die neue Hauptverhandlung gegen den Beschwerdeführer hat am 6. Februar 2004 begonnen und dauert an, weil er aus Krankheitsgründen nur für einen eng begrenzten Zeitraum täglich verhandlungsfähig ist.

Das Bundesverfassungsgericht hat zum Ausdruck gebracht, das Umstände vorliegen, die den Schluss auf eine erhebliche, dem Staat zuzurechnende vermeidbare Verfahrensverzögerung nahe legen. Durch die Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils und die Zurückverweisung der Sache liegt eine dem Staat zuzurechnende Verfahrensverzögerung schon deshalb vor, weil das ergangene Urteil verfahrensfehlerhaft war (vgl. hierzu bereits Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 22. Februar 2005 – 2 BvR 109/05) (Pressemitteilung hier).

Das Bundesverfassungsgericht hat zwar festgestellt, dass es grundsätzlich nicht zu beanstanden ist, die infolge der Durchführung eines Revisionsverfahrens verstrichene Zeit nicht der ermittelten Überlänge eines Verfahrens hinzuzurechnen. Hiervon ist aber dann eine Ausnahme geboten, wenn das Revisionsverfahren der Korrektur eines offensichtlich der Justiz anzulastenden Verfahrensfehlers gedient hat.

In der Entscheidung vom 22.02.2005 lag ein Fall zu Grunde, bei dem das Landgericht ohne ersichtlichtlichen Grund die Revisionsbegründungen verzögert zugestellt hatte und das Verfahren allein dadurch zwei Monate verzögert wurde. Außerdem hatte sich der Generalbundesanwalt 4 Monate Zeit zur Bearbeitung gelassen, die das Bundesverfassungsgericht für unangemessen lange befand.


Die Verfahrensbeteiligten in Haftsachen werden das Beschleunigungsgebot in Zukunft in allen Haftsachen noch ernster nehmen müssen, selbst wenn es um schwerste Vorwürfe geht.

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