Samstag, 22. Oktober 2005

Gleichstellung falsch verstanden

Sollte es stimmen, und so sieht es aus, fehlt es der Berliner Senatsverwaltung für Justiz im Bereich Vollzug an Sach- und Rechtsverstand. Zunächst die Pressemeldung der Senatsverwaltung der Justiz:
Am 20. Oktober 2005 entwich gegen 17.15 Uhr ein 33-jähriger Strafgefangener der JVA Tegel während einer Ausführung in Begleitung. Der Inhaftierte nutzte einen Toilettengang zur Entweichung.

Der Gefangene befand sich seit dem 11. September 1998 in der JVA Tegel. Er hat eine Freiheitsstrafe von 12 Jahren wegen der Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu verbüßen. Voraussichtliches Strafende ist der 24. Januar 2009. Die Polizei wurde nach Bekanntwerden des Vorfalls unmittelbar benachrichtigt und leitete die Fahndung ein.
Was die Pressemeldung nicht verriet: Der Inhaftierte wurde von einer Sozialarbeiterin begleitet, die brav vor der Herrentoilettentür im Café Kranzler, Kurfürstendamm Ecke Joachimstaler Straße, wartete, als der ihr anvertraute Inhaftierte unbemerkt durch das Toilettenfenster ins Freie kletterte und verschwand. Café Kranzler muss zwischendurch schon mal möglich sein, Strafzweck hin oder her. 12 Jahre oder 2/3 davon sind schon eine lange Zeit.

Am Rande - mir scheint der Entwichene kann eine vorzeitige Entlassung jetzt erst einmal vergessen zu können, wenn, ja wenn er, wiedergefunden werden sollte.

Zurück zum Café Kranzler: Die Sozialarbeiterin hätte erst auf der Herrentoilette nachsehen sollen, ob ein Fenster die Flucht ermöglichen könnte. Nun soll ihr ein Disziplinarverfahren drohen. Hätte sie wirklich auf die Herrentoilette gehen müssen?

Eine solche Konstellation ist der Berliner Justiz nicht fremd. Im Jahr 2003 geschah Ähnliches, als ein Gefangener einen Gang zur Toilette für seine Flucht nutzte, weil er von einer weiblichen Justizbediensteten begleitet worden war. Die Reaktion der Justizsenatorin Schubert kam richtig und prompt. Es wurden die Ausführungsvorschriften verschärft, und zwar ausdrücklich mit der Begründung, dass weibliche Bedienstete Herrentoiletten nicht inspizieren könnten, so dass männliche Gefangenen bei Ausgängen einen Mann an die Seite gestellt bekommen sollten.

Dagegen protestierte die Frauenvertretung der Justizbediensteten und sahen ihre Gleichstellung gegenüber männlichen Bediensteten in Gefahr. Die Berliner Senatsverwaltung für Justiz hat aber entgegen der Regel, dass Ungleiches auch ungleich zu behandeln ist, gemeint, die Ausführungsvorschriften wieder lockern zu müssen und hat dies auch getan. Das Ergebnis ist bekannt.

Vgl. den ausführlichen Tagesspiegel-Artikel.

Jetzt wird die bedauernswerte Sozialarbeiterin ein Disziplinarverfahren durchstehen müssen, vielleicht sogar ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren. Dabei wird auf die Falsche "eingeschlagen".

Es würde auch niemand auf die Idee kommen, männliche Justizbeamte zur Sichtung der Damentoiletten einzusetzen. Obwohl ich mir angesichts der bekannt gewordenen Einstellung der Justizverwaltung zur Gleichbehandlung von Männern und Frauen selbst da nicht mehr sicher bin.

Nachtrag: Der Kollege Hoenig würde den Flüchtling gern einmal fragen, was er von der Frauenbefreiung hält. ;-)

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