Der Tagesspiegel - Ulrike Simon berichtet am 18.03.2005: Seit acht Jahren wird Jürgen Wegener aus Charlottenburg von einer früheren Mitarbeiterin verfolgt. Sie glaubt ihn zu lieben. Wegener hat sich nie für Frauen interessiert, auch ihr nie Hoffnungen gemacht. Begonnen hatte es, als er in Ruhestand ging. Es ist immer das Gleiche. Jeden zweiten Tag wirft sie bei ihm einen Brief ein, in dem sie ihren Besuch ankündigt. Am nächsten Tag steht sie vor der Tür, klingelt, wartet, manchmal stundenlang. Schafft sie es, ins Haus zu kommen, steht sie vor seiner Wohnungstür, klingelt oder trommelt dagegen. Anfangs versuchte er, ihr klar zu machen, dass sie ihn in Ruhe lassen soll. Sie beharrt darauf, mit ihm essen zu gehen, in Urlaub zu fahren, ihn ihrer Familie vorzustellen. Sie schlug auch schon auf ihn ein. „Am Anfang dachte ich, ich werde allein damit fertig“, sagt Wegener. Seit anderthalb Jahren hat er nicht nur körperlich abgebaut. Er ist in psychiatrischer Behandlung. Gerade war er ein paar Tage auf Sylt. Mehrfach bildete er sich ein, sie zu sehen. „Ich leide langsam unter Verfolgungswahn“, sagt Wegener. Am Anfang rief sie nur an. Erst tagsüber, dann auch nachts. Er ging zur Polizei. Man riet ihm, sich eine Geheimnummer zu beschaffen. Seither fährt sie jeden zweiten Tag von Lichtenberg zu seiner Wohnung. Am nächsten Tag kommt wieder ein Brief, mal mit roten Herzchen drauf, mal mit gelben. Ein Fall von Stalking.
Heute stimmt der Bundesrat über ein Gesetz zum Schutz von Stalking-Opfern ab. Justizsenatorin Karin Schubert unterstützt es. Strafrechtliche Mittel seien notwendig, um auf dieses Phänomen zu reagieren. „Bis jetzt gab es keine Handhabe gegen das Stalking – jetzt schaffen wir ein Gesetz mit erheblichen Sanktionsmöglichkeiten“, sagt Karin Schubert. Schubert hält den Gesetzentwurf grundsätzlich für gelungen, würde sich allerdings noch eine „präzisere Eingrenzung des strafrechtlich relevanten Verhaltens wünschen“.
Stalker, das weiß die Berliner Expertin Susanne Schumacher, wollen Macht, sind oft hochintelligent, denken sich immer neue Varianten aus, wie sie ihr Opfer terrorisieren. Um diesen zu helfen, sei neben dem Gesetz ein Netzwerk aus Polizisten, Psychologen und Experten nötig.
Stalking-Opfer sind nicht nur Prominente, wie manche glauben. „Wir wissen inzwischen, dass die Realität anders aussieht“, sagt Karin Schubert. Doch Stalking-Fälle werden, solange sie nicht als Straftatbestände gelten, auch nicht erfasst, sagt Polizeipräsident Dieter Glietsch. Glietsch hofft auf das Gesetz, darauf, dass Stalking Straftatbestand wird. Die Polizei hat zwar einen Merkzettel, um die Opfer zu informieren, wie sie sich verhalten sollen. Auch werden Polizisten eigens geschult. Doch zu oft hören die Opfer den Satz: „Solange nicht wirklich etwas passiert, können wir nichts tun.“
Der Stalker einer Juristin aus Schöneberg, ein Anwalt, brachte sie bei ihrem Arbeitgeber in peinlichste Situationen. Eine andere Frau aus Schmargendorf lebt in Angst, auch um ihre Tochter. Sie erwirkte ein Kontaktverbot, jetzt verfolgt er ihre Freundin. Die Polizei riet zum Umzug. Das will sie nicht. „Ich will nicht das Opfer sein, bloß weil man nicht fähig ist, ihn von seinen Taten abzuhalten.“
Um sich zu wehren, hat Stalking-Opfer Jürgen Wegener viel Geld investiert. Seit zwei Jahren ist er beim Anwalt, um ein Kontaktverbot zu erwirken. Vor Gericht behauptete seine Verfolgerin, sie empfange Zeichen, die sie zwingen, zu ihm zu gehen. Ein Gutachten könnte sie für schuldunfähig erklären. Der Terror geht weiter.
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