Freitag, 27. Mai 2005

Bundesrat stimmt EU-Verfassung zu

Der Deutsche Bundesrat hat in seiner heutigen Sitzung dem Gesetz zu dem Vertrag vom 29.10.2004 über eine Verfassung von Europa (BT-Drucksachen 15/4900 und 15/4939)mit der erforderlichen Mehrheit zugestimmt. Vgl. Bundesratsdrucksache 339/05.

Weiterhin hat der Bundesrat in seiner heutigen Sitzung dem Gesetz über die Ausweitung und Stärkung der Rechte des Bundestages und des Bundesrates in Angelegenheiten der Europäischen Union zugestimmt.

Die vorausgegangenen Erläuterungen des Direktors des Bundesrates zur Tagesordnung der 811. Sitzungs des Deutschen Bundesrates vom 27.05.2005 lesen sich wie folgt:


Mit dem Gesetz zu dem Vertrag vom 29. Oktober 2004 über eine Verfassung für Europa sollen die von deutscher Seite erforderlichen Voraussetzungen für dessen In-Kraft-Treten gemäß Artikel 59 Abs. 2 des Grundgesetzes geschaffen werden. Artikel 1 des Gesetzes sieht daher die Zustimmung zu dem Verfassungsvertrag vor.

Am 29. Oktober 2004 wurde der Vertrag über eine Verfassung für Europa in Rom von den Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten der EU unterzeichnet. Der Vertragstext basiert auf einem Entwurf, den der Europäische Konvent, der am 5. Dezember 2001 durch den Europäischen Rat von Laeken eingesetzt worden war, unter Vorsitz des früheren französischen Staatspräsidenten Valéry Giscard d'Estaing erarbeitet hat.
Der Verfassungsvertrag soll die Voraussetzungen für ein vereintes Europa der Staaten und der Bürger schaffen und die Handlungsfähigkeit der EU angesichts der am 1. Mai 2004 vollzogenen Erweiterung um zehn neue Staaten auf 25 Mitgliedsnationen verbessern.

Diesem Ziel dienen die folgenden wesentlichen Inhalte des Verfassungsvertrages:

- Die EU wird als Bürger- und Staatenunion definiert. Sie erhält Rechtspersönlichkeit und stützt sich einerseits unmittelbar auf die Unionsbürgerinnen und Unionsbürger, demgegenüber sie öffentliche Gewalt ausübt, z. B. durch die unmittelbar geltenden europäischen Gesetzte. Die Unionsbürgerinnen und Unionsbürger üben dementsprechend gegenüber der EU unmittelbar demokratische Kontrolle aus, insbesondere in den Wahlen zum Europäischen Parlament. Andererseits stützt sich die EU auf die Mitgliedstaaten, deren Regierungen, die ihrerseits demokratisch legitimiert sind, über den Rat maßgebliche Entscheidungsbefugnisse behalten. Die Mitgliedstaaten bleiben Herren der Verträge, die EU wird nicht zum Bundesstaat. Der Charakter der EU als Rechts- und Wertegemeinschaft wird durch die Aufnahme der Grundrechtecharta als
subjektive Grundrechtsgewährleistungen und objektive Werteordnung deutlich unterstrichen.

- Durch die einheitliche Rechtspersönlichkeit der EU wird mehr Transparenz und Verständlichkeit ihrer Struktur geschaffen. Die Vereinfachung der Verfahren und eine bessere Systematisierung und klarere Bezeichnung der Rechtsinstrumente der EU tragen ebenfalls hierzu bei.

- Die Handlungsfähigkeit der erweiterten EU wird gesichert durch tiefgreifende Reformen im institutionellen Bereich - die Einführung der doppelten Mehrheit, den Präsidenten des Europäischen Rates und den Außenminister der EU - und durch die deutliche Ausdehnung des Anwendungsbereichs der qualifizierten Mehrheit. Der Präsident des Europäischen Rates wird künftig von diesem für 2 1/2 Jahre gewählt. Ab 1. November 2009 wird die qualifizierte Mehrheit als so genannte "doppelte Mehrheit" berechnet werden. Entscheidungen kommen danach künftig im Rat zustande, wenn 55 % der Staaten, die gleichzeitig 65 % der EU-Bevölkerung vertreten, zustimmen.

- Die demokratische Legitimation der EU wird gestärkt durch die Ausdehnung der Befugnisse des Europäischen Parlaments, z. B. bei der Wahl des Kommissionspräsidenten und neue direkte Mitwirkungsrechte der Unionsbürgerinnen und -bürger im Rahmen einer europäischen Bürgerinitiative.

- In den Sachpolitiken werden weitere Integrationsfortschritte erreicht. Insbesondere die Bestimmungen zur gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik sowie zur Justiz- und Innenpolitik werden neu gefasst. Damit wird der Auflösung der "Säulenstruktur" Rechnung getragen. Die Verwirklichungen einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, sowie die Vollendung der EU als Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts sind zentrale Bereiche für die weitere Vertiefung der EU in den kommenden Jahren.

- Die Flexibilitätsinstrumente werden ausgebaut. Sie ermöglichen die Weiterentwicklung der EU innerhalb des Rahmens der Verfassung, ohne das es auf absehbare Zeit weiterer Vertragsänderungen bedarf, die mit zunehmender Mitgliederzahl immer schwerer zu erreichen sein werden. Besonders wichtig ist hier die Möglichkeit, durch einstimmige Entscheidung den Übergang von der Einstimmigkeit in die qualifizierte Mehrheit zu beschließen.

- Gleichzeitig mit der Stärkung der Handlungsfähigkeit der EU und den genannten Integrationsfortschritten verwirklicht der Verfassungsvertrag auch das langjährige deutsche Ziel einer besseren Abgrenzung der Zuständigkeiten zwischen der EU und den Mitgliedstaaten. Dieses Ziel wird insbesondere erreicht durch:

-- die Einführung von Kompetenzkategorien für die Zuständigkeiten der EU,
-- die unmittelbare Einbeziehung der nationalen Parlamente in das europäische Gesetzgebungsverfahren durch den neuen Subsidiaritäts-Kontrollmechanismus, verbunden mit einem Klagerecht jeder Kammer eines nationalen Parlaments und
-- die weitere Stärkung des Subsidiaritätsprinzips in einem eigenen Protokoll.

Das Ratifikationsgesetz bedarf nach Artikel 23 Abs. 1 Satz 3 in Verbindung mit Artikel 79 Abs. 2 des Grundgesetzes der Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages und zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrates, da der Verfassungsvertrag eine Übertragung von Hoheitsrechten vorsieht, die als verfassungsrelevante Änderung der vertraglichen Grundlagen der EU im Sinne dieser Vorschrift anzusehen ist.

Dies gilt jedenfalls für die Überführung der polizeilichen Zusammenarbeit und der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen, die bisher Teil der intergouvernementalen Zusammenarbeit waren und die so genannte "dritte Säule" bildeten, in den allgemeinen Rahmen der EU als Teil der geteilten Zuständigkeit für den Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts und die in diesem Bereich erweiterten bzw. neu geschaffenen Handlungsmöglichkeiten der EU.

Der Bundesrat hat in seiner 808. Sitzung am 18. Februar 2005 zu dem Gesetzentwurf Stellung genommen (vgl. BR-Drucksache 983/04 (Beschluss)). Er begrüßte den Verfassungsvertrag als Meilenstein für die europäische Integration sowie als einen wesentlichen Fortschritt für eine bessere Wahrnehmung der berechtigten Interessen von Bund, Ländern und Gemeinden und stellte die Ratifikation des Verfassungsvertrags
in Aussicht. Der Bundesrat hielt aber innerstaatliche Rechtsänderungen für erforderlich, um die neuen Rechte der Länder auch ausüben zu können. Diese Rechtsänderungen liegen dem Bundesrat als Gesetz über die Ausweitung und Stärkung der Rechte des Bundestages und des Bundesrates in Angelegenheiten der Europäischen Union (vgl. BR-Drucksache 340/05) gesondert zur Zustimmung vor.

Der Bundestag hat dem Ratifikationsgesetz in seiner 175. Sitzung am 12. Mai 2005 auf Grund der Beschlussempfehlung und des Berichts seines Ausschusses für Angelegenheiten der Europäischen Union mit der erforderlichen Mehrheit von zwei Dritteln der Mitglieder des Deutschen Bundestages zugestimmt. Der Ausschuss für Fragen der Europäischen Union empfiehlt dem Bundesrat, dem Gesetz gemäß Artikel 23 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. Artikel 79 Abs. 2 des Grundgesetzes zuzustimmen.

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