Mittwoch, 25. Mai 2005

Das Bundesverfassungsgericht zur einseitigen Antragstellung des Generalbundesanwalts bei Revision in Strafsachen

Das Bundesverfassungsgericht - Beschluss vom 25. Januar 2005 – 2 BvR 656/99, 2 BvR 657/99 und 2 BvR 683/99 –

hatte u. a. zu der mit der Verfassungsbeschwerde gerügten ungleichen Praxis des Generalbundesanwalts zu entscheiden, bei Revisionen der Staatsanwaltschaft stets Anberaumung eines Hauptverhandlungstermins zu beantragen, bei Angeklagtenrevisionen hingegen Verwerfung durch Beschluss im schriftlichen Verfahren. Bei Revisionen der Angeklagten werde in etwa 85 bis 90 % der Fälle ein Verwerfungsantrag des Generalbundesanwalts nach § 349 Abs. 2 StPO gestellt, Terminsanträge dagegen nur ausnahmsweise (vgl. hierzu auch den Aufsatz des Bevollmächtigten des Beschwerdeführers zu 1., Die alltägliche Revisionsrechtsprechung des BGH in Strafsachen, StraFO 1998, S. 325 <327>, auf den er verweist). Die Konsequenz sei, dass nur ein geringer Teil von Angeklagtenrevisionen aufgrund einer Hauptverhandlung entschieden werde. Hingegen sei von der Übung, staatsanwaltschaftliche Revisionen grundsätzlich mündlich zu verhandeln, seit Gründung des Bundesgerichtshofs nur in einem Fall (Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 23. Januar 1992 - 1 StR 669/91 -, BGHR StPO § 349 Abs. 2 Verwerfung 1) abgewichen worden; so würden grundsätzlich auch offensichtlich unbegründete Revisionen der Staatsanwaltschaft in einer Revisionshauptverhandlung erörtert.

Der Beschwerdeführer zu 3. sieht seinen Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzt, wenn allein aufgrund der Revision der Staatsanwaltschaft mündlich verhandelt und nach der Verhandlung seine Revision am selben Tage durch Beschluss verworfen werde. Hierzu trägt er unter Berufung auf im Schrifttum vertretene Ansichten (Sarstedt/Hamm, Die Revision in Strafsachen, 6. Aufl., 1998, Rn. 1267; Kuckein, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 4. Aufl., 1999, § 349, Rn. 33) vor, bei wechselseitig eingelegten Revisionen sei im Regelfall einheitlich aufgrund einer Hauptverhandlung zu entscheiden; eine einheitliche Hauptverhandlung sei hier schon angesichts des Umfangs, der Bedeutung und der Schwierigkeit des Verfahrens erforderlich gewesen.


Das Bundesverfassungsgericht hat beide Rügen als unzulässig zurückgewiesen:

"a) Die unterschiedliche Antragspraxis des Generalbundesanwalts kann Rechte der Beschwerdeführer nicht verletzen (§ 90 Abs. 1 BVerfGG). Anträge der Staatsanwaltschaft in Verfahren, die die gerichtliche Entscheidung vorbereiten, sind interne Vorgänge. Erst durch die Entscheidung des Richters kann eine Grundrechtsverletzung bewirkt werden (vgl.BVerfGE 15, 303 <305>; 20, 162 <172>).

Der nicht beschwerdefähige Antrag der Staatsanwaltschaft beim Revisionsgericht nach § 349 Abs. 2 StPO geht der Entscheidung des Revisionsgerichts voraus, die Revision einstimmig im Beschlusswege als offensichtlich unbegründet zu verwerfen. Das Revisionsgericht prüft die Begründetheit der Revision ohne Beschränkung auf die Ausführungen der Staatsanwaltschaft (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 47. Aufl., 2004, § 349, Rn. 14). Es ist auch verfahrensrechtlich nicht an den Antrag auf Beschlussentscheidung gebunden (§ 349 Abs. 5 StPO). Der Antrag des Generalbundesanwalts, die Revision des Beschwerdeführers im Beschlusswege zu verwerfen, kann also keine Rechte des Beschwerdeführers verletzen.

b) Sofern sich der Beschwerdeführer zu 1. auch gegen die Entscheidung des Bundesgerichtshofs wendet, die Revision im Beschlusswege ohne Durchführung einer Hauptverhandlung zu verwerfen, fehlt es an einer substantiierten Darlegung der Verletzung von Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten. Nach den in § 23 Abs. 1 Satz 2 und § 92 BVerfGG formulierten Mindestanforderungen an die Begründung einer Verfassungsbeschwerde ist ein Beschwerdeführer gehalten, das angeblich verletzte Recht und den die Verletzung enthaltenden Vorgang zu bezeichnen. Dabei hat er auch darzulegen, inwieweit sein Grundrecht durch die angegriffene Maßnahme verletzt sein soll (vgl.BVerfGE 99, 84 <87>).

Diesen Anforderungen wird das Vorbringen des Beschwerdeführers zu 1. nicht gerecht. Er kann nicht aufzeigen, inwieweit ihm die Entscheidung im Beschlusswege einen geringeren Grundrechtsschutz gewährt haben könnte als eine Entscheidung nach Durchführung einer Hauptverhandlung.Durch eine gemeinsame Verhandlung der Rechtsmittel von Angeklagtem und Staatsanwaltschaft könnte zwar schon dem äußeren Anschein einer in der Öffentlichkeit behaupteten ungerechtfertigten Ungleichbehandlung sicherlich entgegengewirkt werden (vgl. hierzu Sarstedt/Hamm, Die Revision in Strafsachen, 6. Aufl., 1998, Rn. 1267; Hamm, Verfahrensspaltung bei gegenläufigen Revisionen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft - Zugleich Anmerkung zu BGH-Beschluss vom 7. Mai 1999 - 3 StR 460/98 -, StV 2000, S. 637 ff.; hierzu auch die empirische Untersuchung von Barton, Die Revisionsrechtsprechung des BGH in Strafsachen, 1999, S. 182 ff.). Dass die Beratungsqualität des Gerichts in seinem Fall aufgrund der beanstandeten Verfahrensweise entscheidungserheblich gemindert gewesen wäre, kann der Beschwerdeführer aber im Verfahren der Verfassungsbeschwerde nicht substantiiert darlegen, zumal die Umstände der Beratung dem Beratungsgeheimnis unterliegen. Der Beschwerdeführer hat auch nicht darzulegen vermocht, dass die unterschiedliche Behandlung von Revisionen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft generell zu einer verminderten Rechtsschutzqualität bei Revisionen von Angeklagten führt. Es ist eine bloße Vermutung, dass der Bundesgerichtshof nach einer Hauptverhandlung die vorgebrachten Ausführungen sorgfältiger gewürdigt hätte.

c) Ebenso wenig genügt die Gehörsrüge des Beschwerdeführers zu 3. den Begründungsanforderungen der §§ 23 Abs. 1 Satz 2, 92 BVerfGG.

aa) Sein Vorbringen erschöpft sich in der Wiedergabe der im Schrifttum geäußerten Kritik an der Praxis, bei gegenläufigen Revisionen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft getrennte Verfahrenswege zu beschreiten (vgl. Sarstedt/Hamm, a.a.O., Rn. 1267; Kuckein, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 4. Aufl., 1999, § 349, Rn. 33). Es zeigt hingegen nicht auf, dass hier "gegenläufige Revisionen" im Sinne der zitierten Literaturmeinungen vorgelegen hätten. Die Annahme solcher Revisionen setzt nämlich voraus, dass die zuungunsten des Beschwerdeführers eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft nach § 301 StPO auch die Möglichkeit einer Entscheidung zugunsten des Beschwerdeführers eröffnet (vgl. Sarstedt/Hamm, a.a.O.). Ein solcher Konnex der Revisionen ist hier nicht ersichtlich. Infolge der vom Bundesgerichtshof als zulässig angesehenen Beschränkung des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft auf die Verneinung der besonderen Schuldschwere im Sinne des § 57 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB konnte dieses Rechtsmittel keine Wirkung zugunsten des Beschwerdeführers nach § 301 StPO entfalten. Also ist nicht dargelegt, inwieweit hier eine unterschiedliche Behandlung der Revision der Staatsanwaltschaft einerseits und der Revision des Beschwerdeführers andererseits einen Gehörsverstoß darstellen könnte."

In der selben Entscheidung war weiterhin folgendes in einer Pressemitteilung Zusammengefasstes von Bedeutung:

Das Landgericht verurteilte die drei Beschwerdeführer (Bf) wegen gemeinschaftlichen Mordes jeweils zu lebenslanger Freiheitsstrafe. Mit der gegen das Urteil eingelegten Revision rügten die Bf unter anderem, dass das Gericht im Urteil Listen mit Verbindungsdaten zahlreicher zwischen ihnen geführter Telefonate verwendet habe, die weder durch Verlesung noch in sonstiger Weise in die Hauptverhandlung eingeführt worden seien. Insbesondere seien sie auch nicht im Wege der Vernehmung des sachverständigen Zeugen S. von der Mobilfunk-GmbH zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht worden. Denn der Zeuge sei lediglich zu technischen Details befragt worden. Damit habe das Gericht § 261 StPO verletzt. Der BGH verwarf die Revisionen der Bf. Zur Begründung führte er unter anderem aus, dass die Rüge einer Verletzung des § 261 StPO unzulässig sei, da sie den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht genüge. Die Bf hätten die Verfahrenstatsache verschwiegen, dass der sachverständige Zeuge S. vom Kammervorsitzenden geladen worden sei und zwar mit dem Zusatz: „Ihr Zeichen: PSDA – 364/96, Auskunft vom 28. Mai 1996. Sie sollen als sachverständiger Zeuge zu den Einzelheiten der o.g. Auskunft vernommen werden“. Danach liege es nahe, dass der Zeuge zu einzelnen Daten aus den Telefonlisten befragt worden ist.

Die gegen die Entscheidung des BGH erhobenen Verfassungsbeschwerden hatten Erfolg. Der Zweite Senat hob den Beschluss auf, da er die Bf in ihrem Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz verletzte. Die Sache wurde an den BGH zurückverwiesen.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:
1. Die angegriffene Entscheidung gibt zu verfassungsrechtlicher Rüge keinen Anlass, soweit sie sich in den Grenzen der bisherigen Rechtsprechung des BGH zur Auslegung des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO bewegt. Danach ist für die Rüge der Verwertung des Inhalts einer nicht in der Hauptverhandlung verlesenen Urkunde regelmäßig der Vortrag erforderlich, dass der Inhalt der Urkunde auch nicht in sonstiger prozessordnungsgemäßer Weise in die Hauptverhandlung eingeführt worden ist.

Diese Auslegung ist vom Wortsinn des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO umfasst. Unter "die den Mangel enthaltenden Tatsachen" sind die Umstände zu verstehen, die den Gesetzesverstoß unmittelbar begründen. Grundsätzlich begründet erst der Vortrag, dass das Tatgericht keine der nahe liegenden Möglichkeiten zur prozessordungsgemäßen Einführung des Inhalts einer Urkunde genutzt hat, einen Verfahrensverstoß nach § 261 StPO. Denn die Tatsache „fehlende Einführung in die Hauptverhandlung“ setzt voraus, dass von mehreren möglichen Prozessereignissen keines stattgefunden hat. Die Auffassung des BGH steht auch im Einklang mit dem Sinn und Zweck des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Die Vorschrift verfolgt unter anderem das Ziel, das Revisionsgericht in die Lage zu versetzen, allein anhand der Revisionsbegründung über die Schlüssigkeit einer Verfahrensrüge zu befinden. Dadurch wird einer Überlastung der Revisionsgerichte entgegengewirkt, die ihrerseits wieder den effektiven Rechtsschutz insgesamt beeinträchtigen würde. Der vom BGH geforderte Tatsachenvortrag macht das Rechtsmittel der Revision auch nicht ineffektiv. Denn die Möglichkeiten der Einführung des Inhalts einer Urkunde sind gesetzlich begrenzt und unschwer am Gesetzestext erkennbar.

2. Hingegen hat der BGH die Zulässigkeitsanforderungen im Einzelfall überspannt, wenn er die Mitteilung von Tatsachen fordert, die mit dem Vorgang der Beweisgewinnung in keinem unmittelbaren Zusammenhang stehen. Dies betrifft die vom BGH vermisste Mitteilung der Ladung des sachverständigen Zeugen S. und des dabei angegebenen Ladungszusatzes.
Aus der Ladung folgt nicht, ob der Zeuge auch vernommen worden ist. Der Ladungszusatz gibt für die Frage, ob und in welchem Umfang der Inhalt der Telefonlisten über den geladenen Zeugen in die Hauptverhandlung tatsächlich eingeführt worden ist, keinen Aufschluss. Bei dieser Sachlage war es für die Bf nicht vorhersehbar, dass es dem BGH für die Zulässigkeit der Rüge auf die Ladungsverfügung ankommen werde. Der BGH hat damit den Zugang zum Revisionsgericht in unzumutbarer Weise beschränkt.

Vgl. LiNo hier - speziell zum Umfang der Rügepflicht in strafrechtlichen Revisionsbegründungen nach der o.a. Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts.

Keine Kommentare: