Mittwoch, 1. März 2006

Vermögensabschöpfung nach Straftaten soll perfektioniert werden

Aus Heute im Bundestag Nr. 59 vom 28.02.2006: Die Bundesregierung will sicherstellen, dass künftig der Gewinn aus Straftaten nicht beim Täter verbleibt. Zu entsprechenden Änderungen der Strafprozessordnung hat sie einen Gesetzentwurf (16/700) vorgelegt.
Damit solle auch der Opferschutz gestärkt werden. Die Regierung macht deutlich, das bisher geltende Recht habe sich in der Praxis grundsätzlich bewährt. Eine Gesamtreform sei daher "weder veranlasst noch ratsam".

In der Praxis habe sich jedoch in den vergangenen Jahren gezeigt, dass für den Gesetzgeber noch punktueller Handlungsbedarf besteht. So könne durch das geltende Recht nicht in ausreichender Weise verhindert werden, dass kriminelle Gewinne wieder an beschuldigte und verurteilte Personen herausgegeben werden müssen.
Dies sei beispielsweise der Fall, wenn Opfer ihren Anspruch nicht vor Gericht verfolgen. Ferner soll die Strafprozessordnung so geändert werden, dass das Opfer einer Straftat vor Drittgläubigern einen Vorrang erhält. Der in der Rechtssprechung bestehende Streit werde durch die Neuregelung beseitigt, so hofft die Regierung.

Der Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Rückgewinnungshilfe und der Vermögensabschöpfung bei Straftaten
beruht im wesentlichen auf folgenden Überlegungen:

Es kann durch das geltende Recht nicht in ausreichender Weise verhindert werden,
dass kriminelle Gewinne wieder an beschuldigte und verurteilte Personen herausgegeben
werden müssen. Denn gemäß § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB ist die Anordnung des Verfalls ausgeschlossen, soweit dem Verletzten aus der Straftat ein Anspruch erwachsen ist, dessen Erfüllung dem Täter den Wert des aus der Tat Erlangten entziehen würde. Dabei kommt es dass diese Ansprüche tatsächlich geltend gemacht werden. Es genügt, dass
sie abstrakt bestehen. Zwar lässt § 111b Abs. 5 StPO eine vorläufige Sicherstellung solcher aus einer Straftat erlangten Vermögenswerte zugunsten der Verletzten zu. Wenn aber die Verletzten ihre Ansprüche nicht verfolgen, kann dies dazu führen, dass die Vermögenswerte wieder dem Täter zurückgegeben werden müssen. Dies ist in der Praxis vor allem bei Massenschäden mit im Einzelfall relativ geringen Schadenssummen (z.B. Betrug mit 0190-Telefonnummern etc.) nicht selten. Zwar hat sich die Praxis - abgesichert durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (BGH, NStZ 1984, 409 f.; vgl. auch Nr. 75 Abs. 5 der Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren - RiStBV) - damit beholfen, jedenfalls bei durch Eigenmacht erworbenen Gegenständen über eine entsprechende Anwendung der Fundvorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs ein solches Ergebnis zu vermeiden und zu einer Verwertung zugunsten des Staates zu gelangen. Für Forderungen und sonstige Vermögenswerte hat sich jedoch bislang keine entsprechende einheitliche Praxis gebildet. Scheidet zudem auch die Möglichkeit aus, die sichergestellten Vermögenswerte aufgrund eines entsprechenden Verzichts des Betroffenen einzubehalten, wird das Ziel der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung, nämlich zu verhindern, dass „Verbrechen sich lohnt“, verfehlt.

Auch die bisherige Regelung der Zwangsvollstreckung des Verletzten in die Gegenstände, in die zur Sicherung des Verfalls von Wertersatz der dingliche Arrest nach § 111d StPO vollzogen ist (§ 111g StPO), trägt dem Opferschutz nur unzureichend Rechnung. Anders als bei der Beschlagnahme ist nach der geltenden Fassung des § 111g Abs. 3 StPO in diesen Fällen umstritten, ob das aus der Vollziehung des dinglichen Arrestes entstandene Pfandrecht des Staates hinter dem Pfändungspfandrecht des Verletzten zurücktritt. Dementsprechend ist das Einrücken des Verletzten in den Rang des Staates und damit sein Vorrang gegenüber Drittgläubigern vom Zeitpunkt der Arrestvollziehung an bislang mit Unsicherheiten behaftet.

Der Entwurf sieht vor:

1. Der Sechsmonatszeitraum, während dessen Sicherstellungsmaßnahmen ohne das Vorliegen dringender Gründe für die Annahme der Verfalls- oder Einziehungsvoraussetzungen aufrechterhalten werden können, soll nicht mehr wie bisher um drei, sondern um sechs Monate verlängert werden können. Dies entspricht einer nahezu einhelligen Forderung der Praxis, die darauf hingewiesen hat, dass die bisherige Verlängerungsmöglichkeit insbesondere in Großverfahren häufig zu kurz ist. Um die Verhältnismäßigkeit dieser Maßnahme weiterhin sicherzustellen, wird diese erweiterte Verlängerungsmöglichkeit von der weiteren Voraussetzung abhängig gemacht, dass der Tatverdacht zumindest auf dem Vorliegen bestimmter Tatsachen beruht (§ 111b Abs. 3 StPO-E).

2. Künftig soll dem durch die Tat Verletzten nicht bereits die Anordnung, sondern erst der Vollzug der Beschlagnahme und des Arrestes mitzuteilen sein (§ 111e Abs. 3 StPO-E), um den Erfolg der Maßnahme nicht zu gefährden und zugleich zu vermeiden, dass sich die Verletzten übereilt Titel verschaffen, die sich als nutzlos erweisen können, wenn die Sicherungsmaßnahmen erfolglos bleiben. Zur Absenkung des Verwaltungsaufwands, aber auch im Interesse einer möglichst schleunigen und sicheren Benachrichtigung schafft der Entwurf zudem die Möglichkeit, nicht nur bei unbekannten, sondern auch bei einer Vielzahl von bekannten Geschädigten die Mitteilung durch Bekanntmachung im elektronischen Bundesanzeiger vorzunehmen, wenn eine Mitteilung gegenüber jedem einzelnen mit unverhältnismäßigem Aufwand verbunden wäre (§ 111e Abs. 4 StPO-E).

3. Um in der Praxis entstandene Unsicherheiten zu beseitigen, wird in § 111f Abs. 3 Satz 1 StPO-E ausdrücklich klargestellt, dass beim Arrestvollzug auch der Gerichtsvollzieher die Pfändung beweglicher Sachen bewirken kann.

4. Eine bedeutende Erleichterung für die Praxis, die zugleich einem zügigen und effektiven Zugriff auf zu sichernde Gegenstände dient, ist die Einführung einer allgemeinen Vollstreckungs- und Zustellungskompetenz der Staatsanwaltschaft bei der Vollziehung des dinglichen Arrestes, ohne dass die Möglichkeit einer gerichtlichen Entscheidung beseitigt wird (§ 111f Abs. 3 Satz 3 StPO-E).

5. Der Vereinfachung dient zudem die Ausdehnung der Zustellungskompetenz auf Ermittlungspersonen in § 111f Abs. 4 StPO-E.

6. Ferner stellt der Entwurf klar, dass sich die Rechtsbehelfe gegen Maßnahmen, die in Vollziehung eines Arrestes getroffen werden, einheitlich nach den Vorschriften der StPO richten (§ 111f Abs. 5 StPO-E), auch wenn die Rechtsbehelfe der Sache nach zwangsvollstreckungsrechtlicher Natur sind (§§ 766, 771 bis 776 ZPO) und der Gerichtsvollzieher gehandelt hat. Gleiches gilt, soweit der Rechtspfleger nach §§ 22, 31 Abs. 1 RPflG tätig geworden ist. Der einheitliche Rechtsweg ist zudem für Einwendungen gegen die Entscheidungen der Staatsanwaltschaft über die Herausgabe von Gegenständen an den Verletzten gemäß § 111k StPO-E eröffnet.

7. Zur Verstärkung der Rückgewinnungshilfe wird das Zulassungsverfahren (§ 111g Abs. 2 StPO) ausdrücklich auf die Fälle erweitert, in denen der Verletzte wegen der ihm aus der Straftat erwachsenen Ansprüche in Gegenstände des beweglichen Vermögens (z. B.Forderungen) vollstreckt, in die zur Sicherung des Verfalls von Wertersatz der dingliche Arrest angeordnet worden ist. Damit sind alle nach dem Zeitpunkt der Arrestvollziehung erfolgenden Verfügungen anderer Gläubiger, insbesondere solche im Wege der Zwangsvollstreckung oder Arrestvollziehung, gegenüber dem nach § 111g Abs. 2 StPO-E zugelassenen Verletzten relativ unwirksam. Dieser Rangvorrang des Verletzten vor Drittgläubigern, die nach der staatlichen Arrestvollziehung in das gesicherte Vermögen vollstrekken, ließ sich bisher nur durch eine analoge Anwendung der §§ 111g, 111h StPO erreichen. Hierzu bestanden allerdings in der Rechtsprechung unterschiedliche Auffassungen.

Dieser Meinungsstreit wird mit der Neuregelung beseitigt. Sie verstärkt zudem den Opferschutz,lässt allerdings auch einen gewissen Mehraufwand in der Praxis durch die zu erwartende zahlenmäßige Zunahme von Zulassungsverfahren entstehen.


8. § 111i StPO-E schafft nunmehr in den Fällen, in denen eine Verfallsanordnung wegen
Ansprüchen Verletzter nach § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB ausscheidet, eine Grundlage für
einen späteren Auffangrechtserwerb des Staates. Nach dieser prozessualen Regelung
kann das Gericht im Rahmen der Verurteilung feststellen, in welchem Umfang es nur
deshalb nicht auf Verfall oder erweiterten Verfall erkannt hat, weil Ansprüche Verletzter nach § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB entgegenstehen. Zugleich wird die Rückgewinnungshilfe des Staates im Interesse des Opferschutzes auf drei Jahre nach Urteilsverkündung verlängert.
Dadurch wird die Position der durch eine Straftat materiell geschädigten Opfer in
Ergänzung zu den Verbesserungen des Opferschutzes durch das Opferrechtsreformgesetz,
die Regelungen des Informationsrechts des Verletzten in Strafverfahren und des
Adhäsionsverfahrens gestärkt. Haben die Verletzten innerhalb dieser Frist weder die
Zwangsvollstreckung in die sichergestellten Gegenstände betrieben, was auch aufgrund
eines einstweiligen zivilprozessualen Rechtsschutzes (Arrest) erfolgen kann, noch sonst Befriedigung erlangt, fallen die gesicherten Werte dem Staat anheim. Es ist auszuschließen, dass es den Verletzten innerhalb dieser Frist nicht gelingen wird, wenigstens im Wege des einstweiligen Rechtschutzes einen vollstreckbaren Titel zu erlangen, da der drohende Ablauf der Dreijahresfrist die Eilbedürftigkeit einer Arrestentscheidung begründet und bei der Prüfung des Arrestgrundes Beachtung finden muss. Anders als bisher wird damit verhindert, dass das durch die Straftat Erlangte oder dessen Wert wieder an den Täter zurückfällt, nur weil die Verletzten unbekannt sind oder ihre Ansprüche nicht geltend machen. Die Erstreckung dieses Regelungskonzepts auf die Fallgestaltungen des erweiterten Verfalls (§ 111i Abs. 2 StPO-E i.V.m. § 73d Abs. 1 Satz 3 StGB-E) und des selbständigen Verfallsverfahrens nach § 76a StGB (§ 111i Abs. 8 StPO-E) stellt eine lückenlose Anwendbarkeit des Auffangrechtserwerbs sicher.

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