Donnerstag, 1. Juni 2006

Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende

Der Gesetzentwurf zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende scheint es in sich zu haben. Man muss allerdings erst einmal das gesetzestechnische Kauderwelch durcharbeiten, vor allem mit dem vorhandenen Gesetzestext abgleichen und vergleichen, denn der Entwurf ist aus sich heraus nicht verständlich. Zunächst einmal die zusammenfassende Erläuterung aus der Bundestagsdrucksache 16/1410:

– Gleichgeschlechtliche Partner, die nicht nach dem Lebenspartnerschaftsgesetz eingetragen sind, aber in einer Einstehens- und Verantwortungsgemeinschaft zusammenleben, sollen den eheähnlichen Gemeinschaften gleichgestellt werden und somit zukünftig ebenfalls eine Bedarfsgemeinschaft bilden. Zudem soll Forderungen der Praxis Rechnung getragen und eine Beweislastumkehr bei der Prüfung, ob eine eheähnliche oder partnerschaftsähnliche Gemeinschaft vorliegt, eingeführt werden.

– Der bisherigen Praxis bei der Berücksichtigung von Pflegegeld für die Betreuung und Erziehung (fremder) Kinder entsprechend soll klargestellt werden, dass ein Teil des Pflegegeldes, das für den erzieherischen Einsatz gezahlt wird, in Abhängigkeit von der Kinderanzahl anrechnungsfrei bleibt.

– Personen, die Anspruch auf Leistungen nach dem BAföG bzw. der Berufsausbildungsbeihilfe haben und bei denen dieser Leistungsanspruch nicht ausreicht, um den Bedarf zu decken, erhalten einen Zuschuss zu den Wohnkosten.

– Die Zuständigkeiten der Arbeitsgemeinschaften und zugelassenen kommunalen Träger hinsichtlich Berufsberatung, Ausbildungsstellen- und Arbeitsvermittlung und Aufstockern, die sowohl Leistungen nach dem SGB II als auch dem SGB III beziehen, wird gesetzlich klargestellt.


– Im Interesse von Bürgernähe und Rechtsklarheit soll klargestellt werden, dass die Bundesagentur für Arbeit auch für Leistungsbezieher nach dem Zweiten Buch Sozialge- setzbuch Rehabilitationsträger im Sinne des SGB IX ist, und zwar sowohl bei den Arbeitsgemeinschaften als auch bei den zugelassenen kommunalen Trägern. Damit wird sichergestellt, dass die Fachkompetenz der Bundesagentur für Arbeit als Rehabilitationsträger auch für erwerbs- fähige und hilfebedürftige Behinderte erhalten bleibt.

– Um die Verfahren zur Feststellung, ob Hilfebedürftige, die Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende beantragen oder erhalten, erwerbsfähig sind, zu beschleunigen, sollen künftig die Krankenkassen in Zweifelsfällen die Einigungsstelle anrufen und sich mit ihrer Sachkenntnis am Verfahren beteiligen.

– Für die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten sollen künftig nicht mehr ausschließlich die Agenturen für Arbeit, sondern die Stellen zuständig sein, die die Leistungen bewilligen, d. h. die Arbeitsgemeinschaften und die zugelassenen kommunalen Träger.

– Im Interesse der Rechtsklarheit sollen die datenschutzrechtlichen Zuständigkeiten eindeutig zugeordnet werden. Die Bundesagentur für Arbeit soll die datenschutz- rechtlich verantwortliche Stelle für die im Rahmen des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch erhobenen, verarbeiteten und genutzten Daten sein.

– Der sparsame und verantwortungsvolle Umgang mit Steuermitteln des Bundes setzt eine wirksame Aufsicht voraus. Deshalb soll klargestellt werden, dass die Länder die Aufsicht über die Arbeitsgemeinschaften hinsichtlich ihrer organisatorischen Ausgestaltung nach § 44b SGB II haben, dass diese Arbeitsgemeinschaften die Aufgaben der Agenturen für Arbeit aufgrund eines gesetzlichen Auftrags wahrnehmen und dass deshalb die Agenturen für Arbeit die Befugnisse des Auftraggebers des gesetzlichen Auftrags haben.

– Durch organisatorische Maßnahmen innerhalb der Bundesagentur für Arbeit werden die Interessen des Bundes bei der Umsetzung der Grundsicherung für Arbeitsuchende gewahrt


Bei allen staatlichen Leistungen – nicht nur für den Bereich der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik – besteht die Notwen- digkeit, Missbrauch zu bekämpfen und die Leistungen auf den tatsächlich anspruchsberechtigten Personenkreis zu kon- zentrieren. Das trägt dazu bei, die Bereitschaft zum solidarischen Ausgleich in unserer Gesellschaft auf eine verlässliche Basis zu stellen. Deshalb enthält der Gesetzentwurf Regelungen, die dazu beitragen sollen, Leistungsmissbrauch konsequent zu bekämpfen und zu gewährleisten, dass Leistungen nur diejenigen erhalten, die auf sie angewiesen sind:

Um in anderen Staaten der Europäischen Union vorhandenes Vermögen (Konten und Depots) von Antragstellern und Leistungsbeziehern aufzudecken, soll ein automatisierter Datenabgleich mit aufgrund der Zinsinformationsverordnung gespeicherten Daten ermöglicht werden. Darüber hinaus soll ein automatisierter Datenabgleich auch mit Leistungsdaten der Bundesagentur für Arbeit als Träger der Arbeitsförderung ermöglicht werden. In Einzelfällen sollen außerdem Überprüfungen mit Daten des Kraftfahrt-Bundesamtes und der Meldebehörden möglich sein.

– Personen, die erstmals einen Antrag auf Leistungen stellen, sollen nach Prüfung der individuellen Situation Sofortangebote zur Aufnahme einer Beschäftigung oder Qualifizierung unterbreitet werden.

– Leistungsmissbrauch kann erfolgreich in erster Linie vor Ort von den Arbeitsgemeinschaften und zugelassenen kommunalen Trägern bekämpft werden. Daher kommt den Arbeitsgemeinschaften und zugelassenen kommunalen Trägern eine besondere Verantwortung zu, Außendienste einzurichten, so dass Verdachtsfälle auf Leistungsmissbrauch erkannt und beseitigt werden.

Folgendes ist nicht so leicht herauszulesen:

Beziehern von Arbeitslosengeld II (Alg II) können nach dem Entwurf bei wiederholten Pflichtverletzungen, etwa dem dreimaligen Ablehnen eines angebotenen Jobs, die Leistungen komplett gestrichen werden.

Dies bezieht sich nicht nur auf die Regelleistung, sondern auch auf die Zahlungen für Unterkunft und Heizung.

Soweit ersichtlich, wären dann von der hundertprozentigen Kürzung auch an der Pflichtverletzung unbeteiligte Partner oder Kinder betroffen. Einzelheiten wären zu prüfen. So wäre es m.E. unter keinen Umständen haltbar und zur Wohnungslosigkeit der Betroffenen führen.

Erster Eindruck: unausgegoren und mit heißer Nadel gestrickt.

Die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales des Deutschen Bundestages vom 31.05.2006 mit Änderungsvorschlägen ist hier zu finden.


Der Gesetzentwurf wurde am 01.06.2006 im Plenum des Deutschen Bundestages abschließend in 2. und 3. Lesung behandelt. Er wurde nach namentlicher Abstimmung mehrheitlich angenommen.

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