Samstag, 19. August 2006

Wollen Sie mich nicht verstehen oder sind Sie zu dumm, mir zu folgen?

Richter unter sich: Ein Richter am Amtsgericht leitete die zivilrechtliche Güteverhandlung in einem Rechttsstreit, bei dem es um die Auslegung eines Vermächtnisses ging. Parteivertreter für einen am Verfahren beteiligten Tierschutzverein war ein Kollege, ein Amtsgerichtsdirektor eines anderen Amtsgerichts. Kollegial ging es weniger zu. Mehr lautstark.

Im Verlaufe der Verhandlung kam es zu einem Streitgespräch zwischen dem AGDir und dem RiAG, dem Antragsteller, in dem der AGDir dem Antragsteller nach dessen Darstellung Voreingenommenheit vorwarf. Der lautstarke Wortwechsel führte dazu, dass der AGDir das Verlassen des Gerichtssaals ankündigte. Der Antragsteller wies ihn darauf hin, dass er dann Versäumnisurteil erlassen könne. Der AGDir vertrat die Auffassung, es sei schon mündlich verhandelt worden, so dass ein Versäumnisurteil nicht ergehen könne. Der Streit darüber, ob die Güteverhandlung fortdauere, mündete in einer Äußerung des Antragstellers, die von den Beteiligten der Verhandlung unterschiedlich dargestellt wird. Nach der Darstellung des Antragstellers hat er den AGDir gefragt, ob dieser ihn nicht verstehen wolle oder zu dumm sei, ihm zu folgen. Der AGDir verließ daraufhin den Sitzungssaal. Der Antragsteller ordnete das Ruhen des Verfahrens an. Der AGDir erhob anschließend Dienstaufsichtsbeschwerde beim Präsidenten des Landgerichts Kaiserslautern, mit der er sich gegen das Auftreten des Antragstellers im Termin vom 7. November 2002 wandte.

Der Dienstvorgesetzte meinte, ein Richter habe sich bei der Wahl seiner Worte stets seiner Pflicht zur Unvoreingenommenheit und Neutralität bewusst zu sein. Der Antragsteller sei daher zu ermahnen und es sei an sein Verantwortungsbewusstsein zu appellieren, künftig solche Formulierungen zu unterlassen und sich auch im Falle von Provokationen hierzu nicht hinreißen zu lassen. Der Vorgang sei in die Personalakte des Antragstellers aufzunehmen.

Der Antragsteller geltend gemacht, seine Äußerung habe sich im Rahmen einer adäquaten Wertung der prozessualen Vorgänge gehalten. Für jedermann im Gerichtssaal sei klar gewesen, dass er mit seiner Frage auf den gegen ihn vom AGDir erhobenen Vorwurf der Voreingenommenheit und Parteilichkeit erwidert habe und dass er diesen weder als Person noch als Richterkollegen habe herabwürdigen, sondern sein Erstaunen über dessen unmögliches Prozessgebaren habe zum Ausdruck bringen und ihn zu konstruktivem Verhalten habe veranlassen wollen. Damit sei seine Äußerung sowohl äußerlich als auch innerlich Teil der damaligen Verhandlungsleitung und zeitlich und inhaltlich eine direkte Erwiderung auf den ihm in der Sitzung gemachten Vorwurf der Befangenheit gewesen. Sie habe somit zum Kernbereich seiner richterlichen Tätigkeit gezählt, die schon grundsätzlich gegen Dienstaufsichtsmaßnahmen gefeit sei. Zu Unrecht hätten die Dienstvorgesetzten seine Äußerung als Beleidigung und reines Unwerturteil gewertet.

Der BGH wertet die Maßnahme gegen den Richter und die den Antragsteller abweisenden Vorentscheidungen wie folgt:


Nach § 26 Abs. 1 DRiG untersteht der Richter einer Dienstaufsicht nur, soweit nicht seine Unabhängigkeit beeinträchtigt wird. Unter diesem Vorbehalt umfasst die Dienstaufsicht auch die Befugnis, die ordnungswidrige Art der Ausführung der Amtsgeschäfte vorzuhalten und zu ordnungsgemäßer, unverzögerter Erledigung der Amtsgeschäfte zu ermahnen (§ 26 Abs. 2 DRiG). Danach unterliegt die richterliche Amtsführung insoweit der Dienstaufsicht, als es um die Sicherung eines ordnungsgemäßen Geschäftsablaufs und die äußere Form der Erledigung der Amtsgeschäfte oder um solche Fragen geht, die dem Kernbereich der eigentlichen Rechtsprechung so weit entrückt sind, dass sie nur noch als zur äußeren Ordnung gehörig anzusehen sind (st. Rspr., vgl. BGH, Urteil vom 5. Juli 2000 - RiZ(R) 6/99, NJW-RR 2001, 498 m.w.N.).

Zur äußeren Form der Erledigung der Amtsgeschäfte kann auch die Art und Weise gehören, wie der Richter auf die Parteien oder deren Prozessvertreter in einer Verhandlung einwirkt. Allerdings gebietet es der Schutz der sachlichen Unabhängigkeit des Richters, nicht nur die eigentliche Rechtsfindung und den Rechtsspruch der Dienstaufsicht zu entziehen, sondern auch alle der Rechtsfindung nur mittelbar dienenden Sach- und Verfahrensentscheidungen, einschließlich nicht ausdrücklich vorgeschriebener, dem Interesse der Rechtssuchenden dienender richterlicher Handlungen, die in einem konkreten Verfahren mit der Aufgabe des Richters, Recht zu finden und den Rechtsfrieden zu sichern, in Zusammenhang stehen (vgl. Joeres, DRiZ 2005, 321, 322 m.w.N.). Dementsprechend ist auch die Verhandlungsführung einer Dienstaufsicht weitgehend entzogen. Im Einzelfall kann sich jedoch die Ausdrucksweise, derer sich ein Richter in einer Verhandlung bedient, als vom Inhalt seiner richterlichen Tätigkeit abhebbares und dem äußeren Ordnungsbereich zurechenbares Formelement darstellen und deshalb dem äußeren Ordnungsbereich zuzuweisen sein. Wenn sie den sachlichen Inhalt einer Entscheidung nicht mitbestimmen, können "verbale Exzesse" deshalb der Dienstaufsicht unterfallen (BGH, Urteil vom 17. Oktober 1977 - RiZ(R) 2/77, BGHZ 70, 1, 5; Urteil vom 18. April 1980 - RiZ(R) 1/80, BGHZ 77, 70, 72).
b) Die Äußerung des Antragstellers gegenüber Z. (scil. dem AGDir), ob dieser ihn nicht verstehen wolle oder zu dumm sei, ihm zu folgen, hat der Dienstgerichtshof in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise als der Dienstaufsicht unterfallenden "verbalen Exzess" in diesem Sinne eingeordnet.

aa) Inwieweit eine Äußerung eines Richters in einer Verhandlung als "verbaler Exzess" einzuordnen ist, unterliegt der Würdigung des Tatrichters. Dieser hat alle Umstände der Äußerung zu berücksichtigen, insbesondere deren Inhalt, Anlass und Zweck. Der Dienstgerichtshof hat bei seiner Würdigung ersichtlich alle Umstände des Einzelfalles in seine Erwägungen einbezogen. Er war nicht verpflichtet, diese im Einzelnen aufzuführen, nachdem bereits in den angefochtenen Bescheiden und den in der mündlichen Verhandlung beigezogenen Entscheidungen des Verwaltungsgerichts und des Oberverwaltungsgerichts umfangreich dazu Stellung genommen worden war. Die Angriffe des Antragstellers, der Dienstgerichtshof habe einzelne Umstände außer Acht gelassen und die objektive Mehrdeutigkeit der Äußerung nicht erkannt, geht deshalb ins Leere.....

Die Äußerung des Antragstellers greift die Persönlichkeit des Z. an und ist geeignet, sie herabzuwürdigen. Es kommt, entgegen der Ansicht des Antragstellers, nicht darauf an, ob sie als Beleidigung im Sinne des Strafrechts einzuordnen ist und ob dem Antragsteller strafrechtlich betrachtet Rechtfertigungsgründe zur Seite stehen, nachdem er selbst mit dem Vorwurf der Voreingenommenheit konfrontiert worden ist. Maßgebend ist allein, dass die Äußerung objektiv herabwürdigend war. Ein Richter, der eine Partei sinngemäß als dumm bezeichnet, kann, wenn diese Äußerung nicht den sachlichen Inhalt einer Entscheidung mitbestimmt, die Unabhängigkeitsgarantie des Art. 97 Abs. 1 GG vernünftigerweise nicht mehr in Anspruch nehmen.


BGH, Urteil vom 22. Februar 2006 - RiZ(R) 3/05 - Dienstgericht bei dem Oberlandesgericht Zweibrücken; Dienstgerichtshof bei dem Oberlandesgericht Koblenz

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