Montag, 21. Mai 2007

Berliner Staatsanwälte wehren sich gegen Justizsenatorin von der Aue

Offener Brief zur Reaktion der Berliner Justizsenatorin auf die Äußerungen des Leiters der „Intensivtäterabteilung“, Oberstaatsanwalt Reusch, im SPIEGEL vom 7. Mai 2007

Sehr geehrte Frau Senatorin von der Aue,

der Vorstand der Vereinigung Berliner Staatsanwälte (VBS) hat die Mitglieder der „Intensivtäterabteilung“ zu dem von Ihnen über die Presse erhobenen Vorwurf befragt, wonach die Äußerungen von Herrn Reusch im SPIEGEL vom 07.05.2007 „den Eindruck erwecken, dass Untersuchungshaft verhängt wird aus Gründen, die nicht legal sind. Nämlich als Erziehungsmaßnahme gegenüber Intensivtätern. Das ist nicht zulässig.“

Wir haben folgende Antwort der betroffenen Staatsanwältinnen und Staatsanwälte erhalten:

„Aus diversen Veröffentlichungen (BILD vom 11. Mai 2007 und BERLINER ZEITUNG vom 12. Mai 2007) müssen wir entnehmen, dass sich die Senatorin für Justiz um die Rechtmäßigkeit unserer staatsanwaltlichen Tätigkeit und deren Darstellung in der Öffentlichkeit sorgt. Zur Klarstellung aus unserer Sicht möchten wir Folgendes anmerken:

1. Haftbefehle, die unter anderem auch gegen die überwiegend jugendlichen und heranwachsenden Intensivtäter von uns beantragt werden, werden von den zuständigen Ermittlungs) --Richtern auf der Grundlage geltender Gesetze erlassen. Anderenfalls würden unsere entsprechenden Haftbefehlsanträge abgelehnt werden. Haftgründe sind dabei überwiegend Wiederholungs- und Fluchtgefahr.


2. Unsere Arbeit besteht nun überwiegend darin, dem für den Erlass des Haftbefehls zuständigen Richter eine vollständige Tatsachengrundlage und ein möglichst umfassendes Bild von der Persönlichkeit des Beschuldigten zu unterbreiten. Gerade dieser Teil ist besonders arbeitsintensiv. Es soll nämlich vermieden werden, dass der Erlass eines Haftbefehls lediglich deshalb abgelehnt wird, weil dem Gericht nicht alle notwendige Informationen vorliegen (familiäres Umfeld, Vorleben, tatsächliche Anzahl der von dem Beschuldigten begangenen Straftaten). Dies ist durch die bisherige Zersplitterung der Zuständigkeiten bei der Staatsanwaltschaft immer wieder geschehen.

3. Selbstverständlich hat der Erlass und die Vollstreckung eines Haftbefehls auch erzieherische Wirkung! Dies ist zwar eine Nebenfolge des auf gesetzlicher Grundlage erlassenen Haftbefehls, ist aber durchaus erwünscht. Aus vielen Gesprächen mit Vertretern der Jugendgerichtsbarkeit ist bekannt, dass oftmals in den besonders hartnäckigen Fällen (und nur die betrifft es) eine erzieherische Einwirkung erst mit der Herauslösung aus den bestehenden Banden- und Familienstrukturen möglich wird. Wer als Jugendlicher 30, 40 oder über 100 schwere Gewalttaten (Körperverletzung, Raub, Vergewaltigung) begangen hat, wird anders nicht zu beeinflussen sein.

Dies hat Herr Oberstaatsanwalt Reusch im SPIEGEL vom 7. Mai 2007 zutreffend zum Ausdruck gebracht!“

Wir bedanken uns für die klarstellenden Ausführungen der Abt. 47. Sie waren zweifellos erforderlich; allerdings nicht etwa, weil nach der Lektüre des SPIEGEL-Artikel tatsächlich der Eindruck entstanden war, dass in Berlin rechtswidrig Haftbefehle gegen Intensivtäter erlassen würden, sondern weil Sie als Senatorin der Justiz in Ihrer Äußerung gegenüber der Presse diesen Eindruck erst konstruiert haben.

Wer wird ernsthaft glauben oder auch nur den Eindruck haben,

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dass in Berlin seit Jahren von den Mitgliedern der „Intensivtäterabteilung“ systematisch rechtswidrig Haftbefehle beantragt werden und diese von Ermittlungsrichtern unwissend, oder - schlimmer noch - als Teil einer Verschwörung vorsätzlich rechtswidrig erlassen werden,
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dass die über Beschwerden entscheidenden Richter am Landgericht, die Staatsanwälte der Generalstaatsanwaltschaft, die Stellungnahmen zu weiteren Beschwerden verfassen, und schließlich die Richter am Kammergericht, die über die weiteren Beschwerden entscheiden, allesamt die rechtswidrigen Entscheidungen stützen bzw. aufrechterhalten und
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nicht zuletzt die Verteidiger der Beschuldigten nichts von alledem bemerken?


Ihre Äußerungen sind nicht nur fern der Realität; sie stellen darüber hinaus auch alle Beteiligten, die an der Entscheidung über einen Haftbefehl gegen einen Intensivtäter beteiligt sind, unter einen ungeheuerlichen Generalverdacht. Die Betroffenen reagieren zu Recht mit Empörung. Einer vertrauensvollen Zusammenarbeit sind Ihre Äußerungen sicher nicht zuträglich.


Auch Ihr Umgang mit der Personalie „Reusch“ ist inakzeptabel. Öffentliche Äußerungen zu personellen Einzelmaßnahmen und deren Verlauf sollten für einen Dienstherrn tabu sein, denn der betroffene Beamte hat keine Möglichkeit, sich öffentlich zu wehren, ohne sich der Gefahr weiterer dienstrechtlicher Sanktionen auszusetzen. Der faire Umgang miteinander und die beamtenrechtliche Fürsorgepflicht gebieten es vielmehr, Maßnahmen gegen einen einzelnen Beamten nicht mit „Pressebegleitmusik“ zu umrahmen. Eine solche Vorgehensweise ist wegen der fehlenden Waffengleichheit zwar einfach, aber höchst unfair.

Hochachtungsvoll Vera Junker 1. Vorsitzende


Vgl. z.B. Welt online und Tagesspiegel

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