Samstag, 31. Mai 2008

Gutachten des wissenschaftlichen Beirats des Bundesfinanzministeriums zu Existenzsicherung und Erwerbsanreiz

Das Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium der Finanzen
"Existenzsicherung und Erwerbsanreiz "wurde am 29.05.2008 veröffentlicht.

Die geltende Rechtslage wird dort u.a. wie folgt zusammengefasst:


Die geltende Rechtslage
Das Arbeitslosengeld II, zu dem die zuvor an bedürftige Erwerbsfähige geleistete Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zusammengelegt wurden, setzt sich zusammen aus dem Regelsatz, der Übernahme der Kosten für eine angemessene Wohnung (einschließlich Heizung), sowie einzelnen Sachleistungen (z.B. Gutscheine für Möbel oder Kleidungsstücke). Die Regelsätze (Stand 2007) betragen für Alleinstehende 347 €, für (Ehe-) Paare 624 € sowie für Kinder bis 13 Jahre 208 € und von 14 bis 18 Jahre 278 €. Mit dem 20. Lebensjahr hat ein Kind einen eigenen Anspruch; er reduziert sich aber auf 80 % (278 €), wenn das Kind unter 25 Jahren ist und bei den Eltern wohnt.
Betroffene erhalten das ALG II aber nur, wenn sie Möglichkeiten für eine Selbstversorgung ausgeschöpft haben. Das bedeutet im Einzelnen:
Sie müssen zunächst auf ihr Vermögen zurückgreifen. Bestimmte Vermögensgegenstände, wie z.B. Wohneigentum in angemessener Größe, Hausrat oder ein angemessenes Auto, sind allerdings anrechnungsfrei. Im Übrigen bestehen gewisse Freibeträge. Der Grundfreibetrag beträgt 150 € pro Lebensjahr des erwerbsfähigen Hilfsbedürftigen und seines Partners, mindestens 4.100 € und höchstens 9.750 € pro Person. Darüber hinaus gibt es einen Freibetrag von 150 € pro Familienmitglied für notwendige Anschaffungen. Vor 1948 Geborene haben Anspruch auf einen höheren Freibetrag von 520 € pro Lebensjahr. Daneben gelten zusätzliche Freibeträge für so genanntes Schonvermögen, das der Alterssicherung dient. Voraussetzung ist, dass der Betroffene – z.B. laut Sparvertrag – nicht vor seinem Ruhestand darüber verfügen kann. Diese Freibeträge liegen bei 250 € pro Lebensjahr, maximal 16.250 €.
Sie müssen vorrangig ihre privaten Unterhaltsansprüche geltend machen. Dies gilt für Ansprüche gegenüber dem Ehepartner oder früheren Ehepartner, aber auch für die vom Gesetzgeber geschaffenen Ansprüche gegenüber Partnern in einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft. Als eheähnlich gelten in jedem Fall Lebensgemeinschaften von Paaren, die gemeinsame Kinder haben. Bei kinderlosen Paaren scheint diese Vorrangigkeit wenig wirksam. Zum einen können sich Lebenspartner ihrer Verpflichtung schon dadurch entziehen, dass sie sich eine eigene Wohnung nehmen. Zum anderen können sie sich als bloße Wohngemeinschaft ausgeben. Die zuständigen Behörden versuchen dann nachzuweisen, dass es sich bei den betreffenden Partnerschaften eben doch um mehr als eine bloße Wohngemeinschaft handelt. Die herangezogenen Indizien reichen von der Existenz eines gemeinsamen Bankkontos (überzeugend) bis zur gemeinsamen Butterdose im Kühlschrank (abwegig). So oder so sollte es den Partnern leicht fallen, die Beweisführung zu verhindern. Nicht zuletzt wegen der Findigkeit der betroffenen Bürger wurden die fiskalischen Kosten des ALG II zunächst erheblich unterschätzt. Wechselseitige Unterhaltsverpflichtungen von Eltern und – erwachsenen – Kindern werden nicht berücksichtigt. Wie immer man die Rolle von Familien im Sozialstaat – auch unter dem Aspekt der Subsidiarität – beurteilt, ist dies für die Anspruchsberechtigten gegenüber der früheren Sozialhilfe eine wesentliche Erleichterung, da es für Mittellose
besonders belastend war, mit ihren Anträgen auf Hilfe Rückforderungen bei ihren Familienangehörigen auszulösen. (Viele haben deswegen auf Sozialhilfe verzichtet.) Die Kehrseite der Vernachlässigung derartiger Rückgriffsmöglichkeiten wird von manchem darin gesehen, dass erwachsene Kinder (möglicherweise auch 16-jährige) aus der elterlichen Wohnung ausziehen, um eigene ALG II-Ansprüche zu erhalten. Entsprechende Wohnkosten werden aber nur übernommen, wenn zwingende, schwerwiegende Gründe für einen Auszug aus der elterlichen Wohnung sprechen.
• Wichtig ist, dass die Antragsteller alle Möglichkeiten zur Arbeitsaufnahme nutzen. Zumutbar ist jede Arbeit, auch nicht sozialversicherte Minijobs und öffentliche Arbeitsgelegenheiten (so genannte „Ein-Euro-Jobs"), es sei denn, die Arbeit ist sittenwidrig, entspricht nicht der gesundheitlichen Leistungsfähigkeit des Antragstellers, erschwert dessen Rückkehr in seine frühere Tätigkeit, gefährdet die Erziehung der Kinder oder ist nicht mit der Pflege eines Angehörigen vereinbar. Das ALG II kann bei Arbeitsverweigerung drastisch gesenkt und der Regelsatz kann im Wiederholungsfalle auf null reduziert werden. Dies scheint allerdings selten zu passieren – möglicherweise, weil zu wenige öffentliche Arbeitsgelegenheiten angeboten werden, vielleicht aber auch deswegen, weil die zuständigen Verwaltungskräfte mit derartigen Entscheidungen überfordert sind. Möglicherweise sind die Beweislage zu unklar und die juristische Durchsetzbarkeit zu ungewiss. ..........

Fazit der Gratwanderung zu einer Lösung, wie Existenzsicherung unmd Erwerbsanreiz in Einklang gebracht werden können, zitiert aus dem Gutachten:

Beginn des Zitats:
    • Das Bürgergeld – oder bedingungslose Grundeinkommen – ist der falsche Weg.
    • Allgemeine gesetzliche Mindestlöhne verringern die Beschäftigung
      Geringqualifizierter und verschärfen damit die deutschen Arbeitsmarktprobleme.
    • Reformen, die nicht lediglich auf eine Alimentierung Arbeitsloser zielen,
      kommen nicht ohne negative Anreize aus. Wer erwerbsfähig ist und keine Arbeit findet, kann vom Staat nur dann Zuwendungen erhalten, wenn er im Gegenzug zu arbeiten bereit ist. Den Arbeitslosen sollten daher Arbeitsgelegenheiten im öffentlichen Bereich oder die Vermittlung in privatwirtschaftliche Beschäftigung durch Leiharbeitsfirmen angeboten werden. Wird eine solche Arbeitsaufnahme verweigert, sollte der Bezug staatlicher Transfers – also heute das Arbeitslosengeld II – empfindlich gekürzt werden. Für ein derartiges Workfare-Modell spricht nicht zuletzt, dass von ihm anders als von anderen Formen der Existenzsicherung keine oder doch nur geringe Anreize für die Immigration von ausländischen Arbeitslosen ausgehen.

    Wie der dadurch ausgelöste Lohndruck flankiert werden soll, ist jedoch nicht
    leicht zu entscheiden. Vieles spricht dafür, den ALG II-Empfängern großzügigere Hinzuverdienstmöglichkeiten einzuräumen (Subjektförderung). Zusätzlich verdientes Einkommen sollte nicht zur Gänze auf das Arbeitslosengeld angerechnet werden. Dadurch bleiben auch bei geringer Entlohnung noch positive Arbeitsanreize erhalten.
    Einiges spricht aber auch für eine Subventionierung der Arbeitsplätze Geringqualifizierter (Objektförderung). Schließlich kommt es darauf an, dass Arbeitslose, die aus der Workfare drängen, auch einen regulären
    Arbeitsplatz finden. Um dafür die Chancen zu erhöhen, könnte man den
    Arbeitgebern, also den Arbeitsnachfragern, für jeden Arbeitsplatz
    Geringqualifizierter einen Zuschuss zahlen. Dadurch sinken die für die
    Unternehmen relevanten Arbeitskosten und es entstehen positive Anreize zur
    Schaffung von Arbeitsplätzen im geförderten Bereich. Allerdings erfordert eine
    solche Politik eindeutige Regeln, um die Verdrängung normaler Arbeitsplätze zu vermeiden und allzu starke Mitnahmeeffekte zu verhindern. Auch gilt es
    auszuschließen, dass die Tarifparteien die Lohnsubventionen für ihre jeweils
    eigenen Ziele und zu Lasten der Allgemeinheit nutzen: die Arbeitgeber zu
    Lohnsenkungen und die Gewerkschaften zu höheren Lohnforderungen. Also dürfen allgemeine Lohnsubventionen für Geringqualifizierte nur in einem engen Lohnkorridor zugelassen werden.
    Lohnaufstockungen an die Arbeitnehmer und Lohnzuschüsse an die Arbeitgeber stehen insoweit im Konkurrenzverhältnis, als sie beide aus öffentlichen Mitteln gespeist werden müssen. Sie sind aber auch in
    Kombination vorstellbar. Welches Gewicht dabei der einen oder der anderen, die Workfare ergänzenden Maßnahme zukommen sollte, ist nicht allgemein vorzugeben, sondern könnte nach entsprechenden empirischen Experimenten entschieden werden.
    Deutschland hat einen solchen Weg mit den begonnenen Arbeitsmarktreformen im Grunde eingeschlagen; sie sollten nicht zurück genommen, sondern durch ein konsequenteres Workfare fortentwickelt werden.

Ende des Zitats des Fazits der Experten.

Das gesamte Gutachten ist hier zu finden.

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