Mittwoch, 11. Juni 2008

Studiengebühren in Hessen verstoßen nicht gegen Landesverfassung

"Das Gesetz zur Einführung von Studienbeiträgen an den Hochschulen des Landes und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 16. Oktober 2006 (GVBl. I S. 512) ist mit der Verfassung des Landes Hessen vereinbar." Dies entschied der Staatsgerichtshof des Landes Hessen am 11. Juni 2008 - Aktenzeichen P.St. 2133; P.St: 2158.


Art. 59 Abs. 1 der Hessischen Verfassung lautet:

In allen öffentlichen Grund-, Mittel-, höheren und Hochschulen ist der Unterricht unentgeltlich. Unentgeltlich sind auch die Lernmittel mit Ausnahme der an den Hochschulen gebrauchten. Das Gesetz muss vorsehen, dass für begabte Kinder sozial Schwächergestellter Erziehungsbeihilfen zu leisten sind. Es kann anordnen, dass ein angemessenes Schulgeld zu zahlen ist, wenn die wirtschaftliche Lage des Schülers, seiner Eltern oder der sonst Unterhaltspflichtigen es gestattet.

Der Staatsgerichtshof führte u. a. aus:

"Der Gesetzgeber durfte sich für eine Erhebung allgemeiner Studienbeiträge entscheiden, weil er aufgrund der Bereitstellung eines für jeden Studierenden verfügbaren Studiendarlehens unter den vom Gesetz geregelten Konditionen davon ausgehen durfte, dass die wirtschaftliche Lage aller Studierenden im Sinne des Art. 59 Abs. 1 Satz 4 HV die Zahlung des Studienbeitrags erlaubt. Als Konsequenz hieraus bedurfte es auch keiner individuellen Leistungsfähigkeitsprüfung der Studierenden mehr. Entscheidend ist, dass die finanzielle Situation eines Studienbewerbers oder
Studierenden kein Hindernis für die Aufnahme eines Studiums darstellen darf. Auf welche Art und Weise dies der Gesetzgeber sicherstellt, wenn er die Erhebung von Studienbeiträgen vorschreibt, ist im Hinblick auf Sinn und Zweck der Verfassungsnorm ohne Bedeutung. Der Gesetzgeber darf deshalb Studienbeiträge
einführen, wenn er die damit verbundenen finanziellen Belastungen, die von der Aufnahme oder Fortführung eines Studiums abhalten könnten, durch die Gewährung eines Darlehens auffängt. Die Kompensation (im vorliegenden Fall: die Darlehensoption) muss in ihrer Ausgestaltung dem Zweck der Unentgeltlichkeit
gleichkommen. Denn entsprechend dem Zweck des Art. 59 Abs. 1 HV, dem Tüchtigen „freie Bahn“ beim Zugang zum Studium zu gewährleisten, hat der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung der Erhebung des Studienbeitrags sicherzustellen, dass niemand aus wirtschaftlichen Gründen an der Aufnahme des Studiums gehindert wird. Wird die wirtschaftliche Lage im Sinne von Art. 59 Abs. 1 Satz 4 HV durch ein Darlehen bewirkt, müssen die Darlehensbedingungen so gestaltet sein, dass die Inanspruchnahme des Darlehens für einen Studierenden,
der aufgrund seiner wirtschaftlichen Lage die Studienbeiträge während des Studiums nicht zahlen kann, zumutbar ist. Dabei ist die Zumutbarkeit objektiv am Maßstab eines vernünftigen und wirtschaftlich rational handelnden Studierenden zu bestimmen."
Dazu heißt es weiter:

"Ausgangspunkt der gesetzlichen Regelung ist die Zusage des Staates: Auch ohne eigene Mittel kann jeder studieren. Da Studierende gemäß § 7 Abs.1 Satz 2 HStubeiG weder ihre Bonität nachzuweisen noch Sicherheiten zu leisten haben, stellt sich das Darlehen für sie voraussetzungslos dar. Insbesondere spielt ihre wirtschaftliche Lage oder Leistungsfähigkeit keine Rolle, sie müssen also weder besonders geartete Vermögensvoraussetzungen erfüllen noch irgendwelche Sicherheiten nachweisen. Der Zugang zu dem Darlehen ist daher auch für völlig mittellose Studierende gesichert. Während des Studiums tritt lediglich die rein rechnerische Belastung durch die Verschuldung als solche ein.
Insbesondere sind während des Studiums keine Tilgungsleistungen zu erbringen und keine Zinsen zu zahlen. Für wirtschaftlich Schwächergestellte, ausgewiesen durch ihren nachgewiesenen Anspruch auf Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz, treten keine Zinsbelastungen hinzu, da ihnendas Darlehen zinslos gewährt wird. Es verbleibt bei der reinen Darlehensschuld
(§ 7 Abs. 1 Satz 6 HStubeiG). Die Pflicht zur Rückzahlung von Darlehens- und Zinsschuld setzt frühestens zwei Jahre nach Abschluss des Studiums, spätestens
elf Jahre nach dessen Aufnahme ein und ist abhängig von dem dann erzielten Einkommen. Solange nicht die Einkommensgrenzen nach § 18a BAföG zuzüglich weiterer 300 Euro erreicht werden, besteht ein Anspruch auf Stundung des Darlehens (§ 8 Abs. 1, 2 HStubeiG). Bei Eintritt der Tilgungs- und Zinszahlungspflicht ist die Mindestzahlung des Darlehensnehmers auf 50 Euro monatlich beschränkt (§ 8 Abs. 1 Satz 1 HStubeiG). Die Rückzahlungspflicht ist unter den Voraussetzungen des § 8 Abs. 3 HStubeiG auf 15 000 Euro beschränkt und endet in jedem Fall 25 Jahre nach Beginn der Rückzahlungspflicht
(§ 8 Abs. 1 Satz 5 HStubeiG)."
Weiter:

"Denn jedenfalls wird der Zugang zu den hessischen Hochschulen infolge der Zumutbarkeit der Darlehensaufnahme zur Finanzierung der Studienbeiträge (vgl. zuvor 2. b) jj) durch die Erhebung des Grundstudienbeitrags nicht in einer Weise erschwert, die mit Art. 59 Abs. 2 HV unvereinbar wäre."
Der gesamte Text der Entscheidung ist hier zu finden.

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