Mittwoch, 11. Juni 2008

Studiengebühren in Hessen - Minderheitenvotum

Die mich überzeugende abweichende Meinung der Mitglieder des Staatsgerichtshofs Lange, Falk, Giani, Klein und von Plottnitz zu dem Urteil des Staatsgerichtshofs vom 11. Juni 2008 – P.St. 2133, 2158 –:

"Die Mehrheitsentscheidung wird der Hessischen Verfassung nicht gerecht. Insbesondere verkehrt sie Wortlaut und Sinn des für dieses Normenkontrollverfahren zentralen Art. 59 HV geradezu in deren Gegenteil, ohne dass es dafür eine rechtlich vertretbare Begründung gäbe."
Zur Begründung heißt es u.a.:

"Art. 59 Abs. 1 HV beschränkt sich also nicht darauf, ärmeren Studierwilligen ein Studium zu ermöglichen. Vielmehr soll nach seinem eindeutigen Wortlaut eine durch Abgaben für Schul- oderHochschulbesuch bewirkte finanzielle Belastung wirtschaftlich nicht hinreichend Leistungsfähiger überhaupt vermieden und damit auch verhindert werden, dass Studierende aus Sorge vor einer Verschuldung von der Aufnahme eines Studiums abgehalten werden oder deren Eltern sich „krummlegen“, um ihren Kindern die Verschuldung zu ersparen, der sich Wohlhabendere, welche Studienentgelte mühelos zu tragen vermögen, von vornherein entziehen können.

Wenn eine Verfassungsnorm wie Art. 59 Abs. 1 HV nicht nur ein Ziel, sondern auch den Weg zu diesem Ziel vorgibt, dann ist es unzulässig, sie im Wege der Auslegung auf ihr Ziel zu reduzieren, den in ihr festgelegten Weg zu diesem Ziel aber zu ignorieren und durch einen anderen zu ersetzen."
Weiter:
"Das Argument der Mehrheit, dass die Eröffnung einer Darlehensmöglichkeit die
wirtschaftliche Lage des Darlehensberechtigten verbessere, greift zu kurz. Die wirtschaftliche Lage einer Person wird dadurch jedenfalls dann nicht verbessert, wenn diese zur Aufnahme eines solchen Darlehens gezwungen wird. Und das ist genau die Situation derjenigen Studierenden, welche die von ihnen verlangten Studienbeiträge nicht aus eigenen Mitteln oder mit Hilfe ihrer Unterhaltspflichtigen
finanzieren können und deshalb auf die Darlehensaufnahme angewiesen sind. Daran, dass die wirtschaftliche Lage einer Person nicht dadurch erbessert wird, dass sie sich verschuldet, kann kein ernsthafter Zweifel bestehen. Das gilt selbst dann, wenn, wie bei den grundsätzlich allerdings durchaus verzinslichen und rückzahlungsbedürftigen Studiendarlehen nach dem Studienbeitragsgesetz, unter bestimmten Voraussetzungen die Verzinsung erlassen und die Rückzahlung bei Unterschreitung einer bestimmten Einkommenshöhe in der Zukunft gestundet werden kann und die Rückzahlungspflicht, falls sich die finanzielle Situation des Schuldners noch nach Jahrzehnten nicht verbessert hat, sogar erlischt."
Weitere Argumentation:
"Die Auslegung des Begriffs der „wirtschaftlichen Lage“ in Art. 59 Abs. 1 Satz 4 HV durch die Mehrheit führt zu dem Ergebnis, dass von „Schülern“ nach Art. 59 Abs. 1 Satz 4 HV abweichend von der in Satz 1 der Norm vorgesehenen Unentgeltlichkeit des Unterrichts ein Schulgeld verlangt werden könnte, denen zugleich nach Art. 59 Abs. 1 Satz 3 HV deshalb, weil sie sozial schwächergestellt sind, eine Erziehungsbeihilfe zu leisten ist. Dass der Verfassungsgeber derart widersprüchliche Regelungen hätte treffen wollen, kann nicht unterstellt werden.
Das Hessische Studienbeitragsgesetz stellt in Wirklichkeit überhaupt nicht auf die wirtschaftliche Lage der Studierenden, ihrer Eltern oder der sonst Unterhaltspflichtigen ab, wie Art. 59 Abs. 1 Satz 4 HV es verlangt. Die konkrete wirtschaftliche Lage der Studierenden und ihrer Unterhaltspflichtigen spielt nach dem Hessischen Studienbeitragsgesetz keine Rolle. Das Kind wohlhabendster Eltern ist ebenso studienbeitragspflichtig und hat ebenso Anspruch auf ein Studiendarlehen wie Studierende aus den wirtschaftlich schwächsten Verhältnissen (nur, dass Letztere – aber auch nicht alle – keine Zinsen auf das Darlehen zu zahlen brauchen). Tatsächlich sind die Regelungen über das Studiendarlehen nur eine Modifikation der Studienbeitragspflicht, die darin besteht, dass die Studierenden die Studienbeiträge abzahlen dürfen. Das ändert aber nichts daran, dass von ihnen ohne Rücksicht auf ihre wirtschaftliche Lage für ihr Studium ein Entgelt verlangt wird. Mit Art. 59 Abs. 1 HV lässt sich dies nicht in Einklang bringen. Wenn in der Hessischen Verfassung steht „Der Unterricht ist unentgeltlich“, dann bedeutet das „Es kostet nichts“ und nicht „Du kannst es später abzahlen“."
Die ausführlich dargelegte abweichende Meinung ist hier auf den Seiten 100 bis 110 wiedergegeben.

Im Ergebnis wird nunmehr in Hessen dieser abweichenden Meinung Rechnung getragen. Wenn die Oppositionsparteien ihren technischen Gesetzesformulierungslapsus ausgebügelt haben, werden die Studiengebühren voraussichtlich ab dem Wintersemester 2008/2009 un Hessen abgeschafft sein.

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