Dienstag, 31. März 2020

Was wir nicht erleben wollen: Triage - Empfehlungen des Ethik-Rats


Auszug aus den AD-HOC-Empfehlungen des Deutschen Ethikrats

Ethische Konflikte im Einzelfall In Notlagen, in denen weniger Beatmungsplätze vorhanden sind als akut gebraucht würden, sind zwei Grundszenarien zu unterscheiden:

• Triage bei Ex-ante-Konkurrenz: 

Damit sind Fälle bezeichnet, in denen die Zahl der unbesetzten Beatmungsplätze kleiner ist als die Zahl der Patienten, die ihrer akut bedürfen. Die hier unausweichlichen Entscheidungen sind normativ weniger problematisch, wenngleich auch sie für die entscheidenden Personen mit schweren seelischen Belastungen verbunden sind. Patienten, denen danach die Behandlung vorenthalten wird, werden von den medizinischen Entscheidern nicht etwa durch Unterlassen „getötet“, sondern aus Gründen einer tragischen Unmöglichkeit vor dem krankheitsbedingten Sterben nicht gerettet. Hier gilt der Grundsatz, dass niemand zu Unmöglichem verpflichtet sein kann. Das Recht bietet für diese Entscheidung keine positiven Auswahlkriterien. Sichergestellt werden muss jedoch, dass unfaire Einflüsse bei der Entscheidung nach aller Möglichkeit ausgeschlossen werden, etwa solche im Hinblick auf sozialen Status, Herkunft, Alter, Behinderung usw. Aus ethischer Sicht sollte die Entscheidung nach wohlüberlegten, begründeten, transparenten und möglichst einheitlich angewandten Kriterien geschehen.

• Triage bei Ex-post-Konkurrenz: 

In diesem Szenario, in dem alle verfügbaren Beatmungsplätze belegt sind, müsste – bei für alle Versorgten fortbestehender Indikation, deren Feststellung der ärztlichen Urteilskraft obliegt – die lebenserhaltende Behandlung eines Patienten beendet werden, um mit dem dafür erforderlichen medizinischen Gerät das Leben eines anderen zu retten. Solche Entscheidungen sind erheblich problematischer. Hier können Grenzsituationen entstehen, die für das behandelnde Personal seelisch kaum zu bewältigen sind. Wer in einer solchen Lage eine Gewissensentscheidung trifft, die ethisch begründbar ist und transparenten – etwa von medizinischen Fachgesellschaften aufgestellten – Kriterien folgt, kann im Fall einer möglichen (straf-)rechtlichen Aufarbeitung des Geschehens mit einer entschuldigenden Nachsicht der Rechtsordnung rechnen. Objektiv rechtens ist das aktive Beenden einer laufenden, weiterhin indizierten Behandlung zum Zweck der Rettung eines Dritten jedoch nicht. Hier muss an den oben formulierten prinzipiellen Imperativ erinnert werden: Auch in Katastrophenzeiten hat der Staat die Fundamente der Rechtsordnung zu sichern. Weniger noch als selbst zahlreiche tragische Entscheidungen in Lebens- und Sterbensnotfällen könnten Staat und Gesellschaft eine Erosion dieser Fundamente ertragen.


Quelle: https://www.ethikrat.org/fileadmin/Publikationen/Ad-hoc-Empfehlungen/deutsch/ad-hoc-empfehlung-corona-krise.pdf

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