Donnerstag, 19. Mai 2005

Bundesgerichtshof: Räumungsvollstreckung trotz Selbsttötungsgefahr möglich

Der Bundesgerichtshof hat durch Beschluss vom 04.05.2005 – I ZB 10/05 – über eine gemäß § 574 Absatz 1 Nr. 2, Absatz 3 Satz 2 ZPO zulässige Rechtsbeschwerde gegen die Zurückweisung eines Antrags auf Einstellung der Zwangsvollstreckung, nämlich der Räumung eines Hausgrundstücks des Schuldners, gemäß § 765a ZPO trotz bestehender Selbsttötungsgefahr des zusammen mit dem Schuldner in dem zu räumenden Haus lebenden Vaters, entschieden. Die Gläubigerin, eine Sparkasse, betrieb die Räumung aus einem im Rahmen eines Zwangs-versteigerungsverfahrens erlassenen Zuschlagsbeschlusses des Zwangsversteigerungsgerichts vom 11.10.2005. In Folge der Suicidgefahr des Vaters des Schuldners war die Zwangsvollstreckung mehrfach vorläufig eingestellt worden. Mangels geforderter Mitwirkung seitens des Schuldners und seines Vaters durch Aufnahme des Vaters in stationäre psychiatrische Behandlung war die Einstellung der Zwangsvollstreckung gegen Ende des Jahres 2004 von den Instanzgerichten abgelehnt worden.

Der Bundesgerichtshof stellte seiner Entscheidung folgende Leitsätze zu § 765a ZPO voran:

a) Besteht im Fall einer Zwangsräumung bei einem nahen Angehörigen des Schuldners eine Suizidgefahr, ist diese bei der Anwendung des § 765a ZPO in gleicher Weise wie eine beim Schuldner selbst bestehende Gefahr zu berücksichtigen.

b) Selbst dann, wenn mit einer Zwangsvollstreckung eine konkrete Gefahr für Leben und Gesundheit des Schuldners oder eines nahen Angehörigen verbunden ist, kann eine Maßnahme der Zwangsvollstreckung nicht ohne weiteres einstweilen eingestellt werden. Erforderlich ist stets die Abwägung der - in solchen Fällen ganz besonders gewichtigen - Interessen der Betroffenen mit den Vollstreckungsinteressen des Gläubigers. Es ist deshalb auch dann, wenn bei einer Räumungsvollstreckung eine konkrete Suizidgefahr für einen Betroffenen besteht, sorgfältig zu prüfen, ob dieser Gefahr nicht auch auf andere Weise als durch Einstellung der Zwangsvollstreckung wirksam begegnet werden kann. Auch der Gefährdete selbst ist gehalten, das ihm Zumutbare zu tun, um die Risiken, die für ihn im Fall der Vollstreckung bestehen,
zu verringern. BGH, Beschl. v. 4. Mai 2005 - I ZB 10/05 - LG Dortmund AG Lünen


Der BGH führt zur Mitwirkungspflicht des Schuldners aus, dass bei der Interessenabwägung einerseits das Grundrecht des Schuldners und seines Vaters aus Art. 2 Absatz 2 Satz 1 GG zu berücksichtigen sei, und auch das Prinzip der Verhältnismäßigkeit des Eingriffs durch den Vollstreckungsschutz gemäß § 765a ZPO im absoluten Ausnahmefall zu einer Einstellung der Zwangsvollstreckung auf unbestimmte Zeit führen könne (BVerfG NJW 1998, 295, 296).

Andererseits kann sich auch der Gläubiger auf Grundrechte berufen, nämlich Schutz seines Eigentums gemäß Art. 14 GG und auf tatsächlich wirksamen Rechtsschutz seines Eigentums gemäß Art. 19 Abs. 4 GG, denn dem Gläubiger dürfen nicht die Sozialstaatspflichten des Staates und damit der Allgemeinheit überbürdet werden.

Zur Mitwirkungspflicht des Schuldners und seiner Angehörigen führt der BGH aus:

„Einem Schuldner oder einem seiner Angehörigen, die im Fall der Zwangsvollstreckung suizidgefährdet sind, kann dementsprechend, wenn sie dazu in der Lage sind, zugemutet werden, fachliche Hilfe - gegebenenfalls auch durch einen stationären Aufenthalt in einer Klinik - in Anspruch zu nehmen, um die Selbsttötungsgefahr auszuschließen oder zu verringern. Ist ein Angehöriger betroffen, kann auch vom Schuldner selbst erwartet werden, daß er das ihm Zumutbare unternimmt, um Gefahren für dessen Leben und Gesundheit möglichst auszuschließen (vgl. dazu auch BGH NJW 2004, 3635, 3637).“

Der Bundesgerichtshof weist auch darauf hin, dass es im konkreten Fall allerdings durchaus denkbar sei, dass es an einem Verschulden des Schuldners bzw. seines Vaters gefehlt habe und eine aussichtsreiche stationäre psychiatrische Behandlung im Einzelfall unter Umständen nicht möglich sei. Mangels hinreichenden rechtlichen Gehörs war dies in den Tatsacheninstanzen nicht geklärt worden, so dass der Bundesgerichtshof die Sache zur näheren Aufklärung an das Beschwerdegericht zurückverwiesen hat.

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