Freitag, 17. Juni 2005

Gesetz zur Bekämpfung von Zwangsheirat eingebracht

Das Land Berlin hat heute im Bundesrat den Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung von Zwangsheirat und zum besseren Schutz der Opfer von Zwangsheirat (Zwangsheirat-
Bekämpfungsgesetz)
eingebracht.

Strafrechtliche Kernvorschrift im Entwurf:

§ 234 b
Zwangsheirat
(1) Wer eine andere Person mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zur Eingehung der Ehe nötigt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.
(2) Ebenso wird bestraft, wer eine andere Person unter Ausnutzung einer
Zwangslage oder der Hilflosigkeit, die mit ihrem Aufenthalt in einem fremden
Land verbunden ist, zur Eingehung der Ehe bringt.
(3) Ebenso wird bestraft, wer eine andere Person durch List, Gewalt oder Drohung mit einem empfindlichen Übel in ein Gebiet außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes verbringt oder veranlasst, sich dorthin zu begeben, oder davon abhält, von dort zurückzukehren, um sie entgegen ihrem
Willen zur Eingehung der Ehe zu bringen.
(4) Der Versuch ist strafbar.“

Die Berliner Justizsenatorin Karin Schubert in ihrer einführenden Rede:

„Das Thema Zwangsheirat beschäftigt den Bundesrat und seine Ausschüsse bereits seit einem Dreivierteljahr. Im Herbst letzten Jahres haben wir einen Gesetzentwurf Baden-Württembergs beraten, der Regelungen im Straf- und Zivilrecht enthielt, die zum damaligen Zeitpunkt keine Mehrheit finden konnten und leider heute bereits teilweise überholt sind. Zwischenzeitlich hatten alle Länder Gelegenheit weitere Überlegungen anzustellen, wie dem Phänomen Zwangsheirat wirksam begegnet werden kann. In Berlin und Nordrhein-Westfalen haben öffentliche Expertenanhörungen stattgefunden. Die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration hat Anfang April dieses Jahres Informationen und Handlungsvorschläge unter anderem zum Thema Zwangsheirat herausgegeben. Die Überlegungen haben gesetzgeberischen Handlungsbedarf aufgedeckt.
Meine Damen und Herren, ich meine: Die Zeit ist nunmehr reif für umfassende rechtliche Regelungen in allen betroffenen Rechtsbereichen und damit auch im Ausländerrecht. Es besteht dringender Handlungsbedarf, eine weite Verzögerung des Verfahrens darf es nicht geben. Unser gemeinsames Ziel muss es sein, die von Zwangsverheiratungen betroffenen Frauen und Männer – es sind vor allem Frauen – vor einer schwerwiegenden Verletzung ihrer Menschenrechte zu schützen. Allein in Berlin leben hunderte Betroffene. Nur wenige wagen es, ihre Situation öffentlich zu machen. Nötig sind vorrangig Beratungs- und Unterstützungsangebote, nicht zuletzt Zufluchtsorte für von Zwangsverheiratung Bedrohte. Daneben ist es aber auch erforderlich, in der Rechtsordnung deutlich zu machen, dass Zwangsverheiratung in all ihren Facetten strafrechtlich zu verfolgendes Unrecht ist. Auch im Zivilrecht sind Korrekturen erforderlich, um die Lösung aus einer Zwangsehe zu erleichtern. Darüber hinaus muss den Betroffenen im Aufenthaltsrecht Sicherheit gegeben werden, soweit sie Deutschland aufgrund einer Zwangsverheiratung verlassen mussten. Hier muss sichergestellt werden, dass die Betroffenen binnen angemessener Zeit nach Deutschland zurückkehren können.
Lassen Sie mich – in aller Kürze - die einzelnen von uns vorgeschlagenen Gesetzesänderungen erläutern:
Im Bereich des Strafrechts ist die Nötigung zur Eingehung der Ehe zwar mittlerweile als besonders schwerer Fall der Nötigung mit einer Mindestfreiheitsstrafe von sechs Monaten bedroht. Die Regelung ist aber im vierten Absatz des § 240 StGB versteckt und erfasst die verschiedenen Erscheinungsformen der Zwangsverheiratung nur unzureichend. Im Einklang mit Baden-Württemberg fordern wir daher die Einführung eines eigenen Straftatbestands 'Zwangsheirat', damit eine deutliche und unmissverständliche Botschaft an die Opfer, an die Täter und an die Öffentlichkeit ausgeht, dass diese Menschenrechtsverletzung in unserem Land nicht hingenommen wird, und zwar unabhängig davon, ob die Tat im Inland oder im Ausland begangen wird.
Durch die Fassung des Straftatbestands wird zudem erreicht, dass gerade diejenigen Fälle strafrechtlich erfasst werden, die für die Zwangsheirat typisch sind: Fälle nämlich, in denen Opfer ins Ausland verbracht werden, um dort gegen ihren Willen verheiratet zu werden; ferner Fälle, in denen die besondere Hilflosigkeit der Opfer in einem fremden Land ausgenutzt wird, um die Heirat zu vollziehen. Täter und Täterinnen dürfen durch die Maschen des Gesetzes nicht einfach dadurch schlüpfen können, dass sie ihr Opfer mit Gewalt oder List ins Ausland verbringen, um es dort, wo es besonders hilflos ist, zur Eingehung einer ungewollten Ehe zu bringen.
Schließlich halten wir die Stärkung der Rechte der von Zwangsheirat Betroffenen im Strafverfahren für erforderlich. Hier muss die Zwangsheirat als Nebenklagedelikt mit den damit einhergehenden erweiterten Opferrechten ausgestaltet werden.
Im Bereich des Zivilrechts sind aus unserer Sicht zwei Änderungen erforderlich:
Erstens fordern wir eine Verlängerung der Ausschlussfrist für die Aufhebung der Zwangsehe von einem Jahr auf drei Jahre. Denn die zur Ehe Gezwungenen werden – insbesondere nach langer unter Zwang aufrechterhaltener Ehe – oft auch geraume Zeit nach Beendigung der Zwangslage emotional nicht in der Lage sein, die Eheaufhebung zu betreiben. Eine Verlängerung der Frist auf drei Jahre trägt diesem Umstand Rechnung. Eine vollständige Streichung der Frist – wie sie im baden-württembergischen Entwurf noch enthalten ist – geht dagegen nach unserer Auffassung zu weit. Denn es wäre aus dem Blickwinkel der Rechtssicherheit nicht akzeptabel, wenn noch Jahre oder gar Jahrzehnte nach der Beendigung der Zwangslage die Ehe aufhebbar wäre. Dann ist die Beantragung der Scheidung der Ehe zumutbar.

Zweitens fordern wir, dass all diejenigen, die an der Drohung Teil hatten, ihr Erbrecht an dem Vermögen des Bedrohten aus diesem Grunde verlieren können. Denn derjenige, der einen anderen zwingt, eine Ehe einzugehen, hat sich so schwerwiegend an dessen Rechten vergangen, dass er nicht würdig ist, ihn zu beerben. Eine Beschränkung des Ausschlusses auf das Ehegattenerbrecht – wie es der baden-württembergische Entwurf vorsieht – wäre vor allem in den Fällen verfehlt, in denen die Drohung von den Eltern des Bedrohten ausgeht, der Ehegatte von der Drohung weiß und aus der Zwangsehe keine Kinder hervorgegangen sind. Denn Begünstigte des Ausschlusses des Ehegattenerbrechts wären in diesen Fällen gerade die drohenden Eltern. Sie wären in Ermangelung eines erbberechtigten Ehegatten oder erbberechtigter Kinder die gesetzlichen Erben des Bedrohten und würden somit von ihrer Drohung profitieren. Das wollen wir nicht hinnehmen.
Den Vorschlag Baden-Württembergs, dass ein Unterhaltsanspruch nach Aufhebung der Zwangsehe auch gegenüber demjenigen bestehen soll, der weder selbst gedroht hat noch von der Drohung Dritter wusste, lehnen wir hingegen ab. Wir meinen, dass in diesen Fällen die bisherige gesetzliche Regelung bestehen bleiben soll, wonach nachehelicher Unterhalt nur dann zu leisten ist, wenn die Ehe geschieden wird, und wonach im Falle der Aufhebung der Ehe ein Unterhaltsanspruch nur gegen den Ehegatten besteht, der selbst gedroht hat oder von der Drohung Dritter wusste. Dass der Ehegatte, der selbst nicht gedroht hat, für das Handeln Dritter haften soll, von dem er keinerlei Kenntnis hatte, ist nicht einzusehen.
Schließlich sieht unser Gesetzentwurf – und hierin unterscheidet er sich am deutlichsten vom Gesetzentwurf Baden-Württembergs - eine Änderung des Aufenthaltsgesetzes vor. So muss das Recht auf Wiederkehr von Ausländern, die als Minderjährige ihren rechtmäßigen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hatten, zu Gunsten der Opfer von Zwangsheirat erweitert werden. Ferner muss sichergestellt werden, dass der Aufenthaltstitel von Opfern von Zwangs-heirat, die das Bundesgebiet gegen ihren Willen verlassen haben oder die an ihrer Rückkehr gehindert wurden, erst nach einer angemessenen Frist verfällt. Wir schlagen eine Frist von drei Monaten vor. Auch diese Frist darf erst nach dem Wegfall der Zwangslage zu laufen beginnen. Diese Veränderungen im Aufenthaltsgesetz halte ich für unverzichtbar. Sie sind das Zeichen, dass wir die Opfer von Zwangsheirat nicht alleine lassen. Wer meint, diese Regelungen aus grundsätzlicher Ablehnung gegen jede Liberalisierung im Ausländerrecht nicht mittragen zu können, der bleibt beim Schutz der Opfer auf halbem Wege stehen.

Meine Damen und Herren, die im vorliegenden Entwurf vorgeschlagenen gesetzlichen Änderungen - sind zum Schutz der Opfer von Zwangsheirat dringend erforderlich. Ich bitte Sie daher, unseren Gesetzesantrag, der den baden-württembergischen Entwurf fortentwickelt und ergänzt, zu unterstützen. Es besteht keine Veranlassung die Beratungen - etwa durch eine Vertagung im Rechtsausschuss - zu verzögern. Die Vorschläge liegen alle auf dem Tisch, die Sache ist entscheidungsreif. Wir müssen durch ein zügiges Verfahren ein klares und unmissverständliches Zeichen setzen: Zwangsheirat wird in Deutschland nicht hingenommen und wir gewähren den Opfern Schutz.“


Der Entwurf wurde in der Bundesratssitzung vom 17.06.2005 zur Beratung an die Ausschüsse verwiesen. Federführend ist der Rechtsausschuss.

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