Zunächst einmal grundlegend:
"Unter einer Beleidigung ist der Angriff auf die Ehre eines anderen durch vorsätzliche Kundgabe der Missachtung oder Nichtachtung zu verstehen. Missachtung, Geringschätzung oder Nichtachtung bringt eine Äußerung dann zum Ausdruck, wenn nach ihrem objektiven Sinngehalt der betroffenen Person der ethische, personale oder soziale Geltungswert ganz oder teilweise abgesprochen und dadurch ihr grundsätzlich uneingeschränkter Achtungsanspruch verletzt wird. Die Ehre kann danach auch durch Vorwürfe oder Äußerungen verletzt werden, die sich auf das Sozialverhalten des Betroffenen wie etwa die Art seiner Dienst- oder Berufsausübung beziehen. Bei der Auslegung der festgestellten Äußerung ist von deren objektivem Sinngehalt (Erklärungsinhalt) auszugehen, wie ihn ein unbefangener verständiger Dritter versteht. Maß-
geblich ist dabei weder die subjektive Sicht des sich Äußernden noch das subjektive Verständnis des von der Äußerung Betroffenen, sondern der Sinn, den die Äußerung nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums hat. Dabei ist stets vom Wortlaut der Äußerung auszugehen. Dieser legt ihren Sinn aber nicht abschließend fest. Er wird vielmehr auch von dem sprachlichen Kontext, in dem die um-
strittene Äußerung steht, und den Begleitumständen, unter denen sie fällt, bestimmt, soweit diese für die Beteiligten erkennbar waren."
Dann wendet das Kammergericht dies auf den vorliegenden Fall an:
Die Auslegung der Äußerung des Angeklagten ist zwar allein dem Tatrichter vorbehalten; an sie ist das Revisionsgericht gebunden. Dieses muss die Auslegung des Tatrichters aber darauf überprüfen, ob sie gegen Sprach- und Denkgesetze, Erfahrungssätze und allgemeine Auslegungsregeln verstößt. Rechtsfehlerhaft ist die
Auslegung auch dann, wenn sie lückenhaft ist, weil der Tatrichter von mehreren Auslegungsmöglichkeiten nur eine geprüft hat.
Der Angeklagte hatte die Fahrausweiskontrolle, deren Berechtigung er auch in seiner Einlassung nicht angezweifelt hat, als reine Schikane angesehen und in einer spontanen Äußerung überreagiert. Vor diesem Hindergrund ist sein verbaler Angriff gegen den Geschädigten zu verstehen und auszulegen. Ein Clown ist nach dem üblichen Sprachgebrauch ein Spaßmacher, Hanswurst und dieser ein dummer, sich lächerlich machender Mensch. In diesem Wortsinn hat der Angeklagte mit seiner Äußerung kundgetan, dass er den uniformierten Geschädigten als einen kostümierten Spaßmacher ansehe und ihn gleich einem Hanswurst der Lächerlichkeit preisgegeben. Damit hat er, wie das Amtsgericht zutreffend ausgeführt hat, dem Geschädigten die diesem zukommende - noch dazu durch die Uniform verkörperte - soziale Achtung als ein der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verpflichteter Polizeibeamter abgesprochen. Diese herabwürdigende Äußerung hat der Angeklagte dadurch verstärkt, dass er das Wort „Clown" in Verbindung mit dem Wort „jeder" gebraucht hat. Das Amtsgericht hat danach zu Recht in der wertenden Äußerung des Angeklagten den Ausdruck einer Nichtachtung des Geschädigten gesehen.
Sodann prüft das Kammergericht, ob die Voraussetzungen des § 193 StGB vorliegen:
Die Äußerung des Angeklagten ist nicht nach § 193 StGB gerechtfertigt. Bei der Auslegung und Anwendung des § 193 StGB haben die Gerichte zu beachten, dass der in dieser Bestimmung enthaltene Rechtfertigungsgrund eine besondere Ausprägung des in Art. 5 Abs. 1 GG normierten Grundrechts der freien Meinungsäußerung darstellt und daher der wertsetzenden Bedeutung dieses Grundrechts hinreichend Rechnung getragen werden muss. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass das Ausmaß des Schutzes des Art. 5 Abs. 1 GG vom Zweck der Meinungsäußerung abhängt. Bezieht sie sich auf eine die Öffentlichkeit wesentlich berührende Frage, so ist sie stärker geschützt als eine Äußerung, die lediglich der Verfolgung privater Interessen dient. Bei herabsetzenden Äußerungen, die sich als Formalbeleidung oder Schmähung darstellen, tritt die Meinungsfreiheit regelmäßig hinter den Ehrenschutz zurück. Eine Schmähkritik liegt vor, wenn bei der Äußerung nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht.Das Amtsgericht hat die Äußerung des Angeklagten als Schmähkritik gewertet und deshalb von einer Erörterung des § 193 StGB abgesehen. Dies begegnet vorliegend - auch unter Berück- sichtigung der nach der höchstrichterlicher Rechtsprechung (vgl. BVerfGE 82, 272, 283 f; 93, 266, 294; BVerfG NJW 2003, 3760; jeweils m.w.Nachw.) gebotenen einengenden Auslegung des Begriffs der Schmähung - keinen rechtlichen Bedenken. Nach dem vom Amtsgericht bindend festgestellten Gesamtgeschehen ist davon auszugehen, dass die Diffamierung des Zeugen K. für den Angeklagten bei seiner Äußerung im Vordergrund stand. Als die Äußerung fiel, war der Zeuge lediglich dem zuvor einmal vom Angeklagten geäußerten Verlangen, seinen Dienstausweis zu zeigen, nicht nachgekommen, hatte es aber nicht ausdrücklich verweigert. Einem solchen Verlangen ist in der Regel nicht von vornherein jede Berechtigung abzusprechen. Denn nach der maßgeblichen Polizeidienstvorschrift (PDV 350, Abschnitt 3.3.6.1) ist der Schutzpolizeibeamte zwar grundsätzlich durch seine U-
niform legitimiert, er hat jedoch den mitzuführenden Dienstausweis bei begründetem Verlangen vorzuzeigen. Wie sich aus den Feststellungen und der - wenn auch sehr knappen - Beweiswürdigung im angefochtenen Urteil ergibt, zweifelte der Angeklagte allerdings nicht daran, dass es sich bei dem Zeugen K. um einen „echten" Schutzpolizeibeamten handelte. Sein Verlangen stand vielmehr im Zusammenhang mit seinem Empfinden, durch die Fahrausweiskontrolle „schikaniert" worden zu sein und hat
den Charakter einer „Revanche". Einer Abwägung zwischen dem Recht des Zeugen K. auf Persönlichkeitsschutz und dem Recht des Angeklagten auf Meinungsfreiheit bedurfte es danach nicht."
Das vollständige Urteil des 4. Strafsenats des Kammergerichts vom 12.08.2005 (4) 1 Ss 93/04 (91/04) ist hier veröffentlicht.
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