Mittwoch, 29. März 2006

Antistalking-Gesetz-Entwurf des Deutschen Bundesrates vom 23,03,2006

Der Gesetzentwurf des Bundesrates für ein Antistalking-Gesetz hat zwei Schwerpunkte: Regelung eines § 238 StGB und Erweiterung der Haftgründe der Wiederholungsgefahr in § 112 a StPO:

"§ 238 StGB-Entwurf Schwere Belästigung

(1) Wer unbefugt und in einer Weise, die geeignet ist, einen Menschen in seiner Lebensgestaltung erheblich zu beeinträchtigen, diesen nachhaltig belästigt, indem er fortgesetzt

1. ihm körperlich nachstellt oder ihn unter Verwendung von Kommunikationsmitteln
verfolgt,

2. ihn, einen seiner Angehörigen oder eine andere ihm nahe stehende Person mit einem empfindlichen Übel bedroht oder

3. andere, ebenso schwerwiegende Handlungen vornimmt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Bringt der Täter das Opfer, einen Angehörigen des Opfers oder einen anderen dem Opfer nahe stehenden Menschen durch die Tat in die Gefahr einer erheblichen Gesundheitsschädigung, so ist die Strafe Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren.

(3) Auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter das Opfer, einen Angehörigen des Opfers oder einen anderen dem Opfer nahe stehenden Menschen bei der Tat körperlich schwer misshandelt oder durch die Tat in die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung bringt.

(4) Verursacht der Täter durch die Tat den Tod des Opfers, eines Angehörigen des Opfers oder eines anderen dem Opfer nahe stehenden Menschen, so ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.

(5) In minder schweren Fällen des Absatzes 3 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren, in minder schweren Fällen des Absatzes 4 auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.

(6) In den Fällen des Absatzes 1 wird die Tat nur auf Antrag verfolgt, es sei denn, dass die Strafverfolgungsbehörde wegen des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung ein Einschreiten von Amts wegen für geboten hält."


Begründung zu § 238 StGB

Typische Folge des "Stalking" ist die massive Beeinträchtigung der Freiheitssphäre des Opfers. Sie steht in ihrem Schweregrad der Einschränkung der Freiheit zur Ortsveränderung (§ 239) nicht nach, überwiegt sie häufig sogar bei Weitem. Nicht selten ist die Behinderung der Fortbewegungsfreiheit eine Konsequenz des Täterverhaltens. Dies rechtfertigt den Standort in unmittelbarem Zusammenhang mit der Freiheitsberaubung (§ 239) in dem nach gesetzgeberischen Maßnahmen der Vergangenheit frei gewordenen § 238. Der neue § 238 will in erster Linie die Entschließungs- und Handlungsfreiheit des Opfers, aber auch die Rechtsgüter der körperlichen Unversehrtheit und des Lebens gewährleisten.

Zu § 238 Absatz 1 StGB

Tathandlung ist das Belästigen. Der Begriff ist beispielsweise in § 183 StGB und § 1 GewSchG enthalten. Die hierzu existente Rechtsprechung und Literatur kann herangezogen werden. Belästigung ist gegeben, wenn durch die Handlung Unlustgefühle wie Angst, Schrecken oder Abscheu hervorgerufen werden (vgl. Tröndle/Fischer, StGB, 52. Aufl. 2004, § 183, Rnr. 6). Der Entwurf verdeutlicht durch das auch in anderen Strafvorschriften verwendete Korrektiv "nachhaltig", dass nur gravierende Handlungen erfasst werden sollen.

Zusätzliche Konturen erhält das Merkmal des Belästigens durch die in den Nummern 1 und 2 aufgeführten typischen Angriffsformen im Rahmen des "Stalking". Sie bilden gesetzliche Leitbeispiele. Die dort verwendeten Begriffe sind teilweise § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe b GewSchG entlehnt und haben sich dort nach den bisherigen Erfahrungen bewährt. Nummer 3 trägt der Tatsache Rechnung, dass sich der durch den "Stalker" vollführte Terror einer abschließenden gesetzlichen Eingrenzung entzieht. Beispiele sind über die in den Nummern 1 und 2 aufgeführten Handlungen hinaus unrichtige Anzeigen in Zeitungen (etwa Hochzeits- oder Todesanzeigen), Hinterlassen von Mitteilungen, Aufsuchen der Arbeitsstelle des Opfers, Verächtlichmachen des Opfers bei Freunden oder Kollegen, Überwachung des Freundes- und Bekanntenkreises des Opfers, Bestellung von Waren oder Abonnieren von Zeitschriften unter dem Namen des Opfers oder Beschädigung von Sachen von Angehörigen, Freunden oder Kollegen des Opfers wie etwa Zerkratzen von Fahrzeugen oder Aufstechen von Reifen.

Das Merkmal "fortgesetzt" trägt der Typik des "Stalking" Rechnung und bringt den
Charakter des Tatbestandes als Dauerdelikt zum Ausdruck. In der Regel werden fünf
Handlungen bzw. Handlungsbündel zu verlangen sein. Die Ausfüllung im Einzelnen kann
der Rechtsprechung überlassen werden.

Der Täter muss unbefugt handeln. Handelt er befugt, so ist der Tatbestand nicht erfüllt. Es sollen namentlich Konstellationen aus dem Tatbestand ausgeklammert werden, in denen der Handelnde auf Grund amtlicher Befugnisse oder Erlaubnisse tätig wird.

Entsprechendes gilt für die Tätigkeit der Presseorgane, soweit sie sich im Rahmen der
verfassungsrechtlich garantierten Pressefreiheit bewegen. Die Aufnahme eines
Rechtfertigungsgrundes der Wahrnehmung berechtigter Interessen erscheint nicht
notwendig.

Mit dem Merkmal "unbefugt" ist zugleich klargestellt, dass der Täter gegen den Willen des Opfers handeln muss. Ist das Opfer ausdrücklich oder stillschweigend mit dem Verhalten des Täters einverstanden, so handelt dieser nicht unbefugt. Einer ausdrücklichen Normierung des Umstandes, dass der Täter gegen den Willen des Opfers handeln muss, bedarf es daher nicht.
Eine weitere Einschränkung und zugleich eine Verdeutlichung der Zielrichtung erfährt der Tatbestand durch seine Ausgestaltung als Eignungsdelikt. Die Tat muss geeignet sein, eine erhebliche Beeinträchtigung der Lebensgestaltung des Opfers herbeizuführen. Erfasst werden demgemäß nur Fälle, in denen die Tat bei einer Beurteilung ex ante die Gefahr in sich trägt, dass das Opfer auf Grund des vom Täter entfalteten Terrors in wesentlichen Belangen nicht mehr so leben kann wie zuvor, indem es etwa nur noch unter Schutzvorkehrungen die Wohnung verlassen kann oder sich kaum mehr traut, die
Wohnung zu verlassen, sich zu einem Arbeitsplatz- oder Wohnsitzwechsel gezwungen
sieht usw. (dazu schon oben). Fälle, in denen diese Voraussetzung nicht gegeben ist,
können gegebenenfalls nach § 4 GewSchG geahndet werden.

Zu § 238 Absatz 2 StGB

Absatz 2 enthält einen Qualifikationstatbestand für Taten, mit denen der Täter das Opfer in die Gefahr einer erheblichen Gesundheitsschädigung bringt. Der Begriff ist weiter als der der "schweren" Gesundheitsschädigung (vgl. zur schweren Gesundheitsschädigung Tröndle/Fischer, a.a.O., § 306b, Rnr. 4). Ein somatisch objektivierbarer pathologischer Zustand genügt. Die Einbeziehung von Angehörigen und sonst nahe stehenden Personen erscheint mit Blick auf die Typik des "Stalking" geboten. Oftmals schrecken die Täter vor Pressionen gegenüber dem sozialen Umfeld des Opfers nicht zurück. Der Strafrahmen von drei Monaten bis zu fünf Jahren trägt dem schweren Unrechts- und Schuldgehalt einschlägiger Taten Rechnung.


Zu § 238 Absatz 3 StGB


Absatz 3 normiert Qualifikationstatbestände für Taten, durch die der Täter das Opfer, einen Angehörigen des Opfers oder eine andere dem Opfer nahe stehende Person bei der Tat körperlich schwer misshandelt oder durch die Tat in die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung bringt.

Zu § 238 Absatz 4 StGB


Absatz 4 enthält eine Erfolgsqualifikation für die Verursachung des Todes. Gedacht ist vorrangig an Konstellationen, in denen das Opfer durch den Täter in den Suizid getrieben wird.

Zu § 238 Absatz 5 StGB

Wie in vergleichbaren Tatbeständen auch erscheint es geboten, minder schwere Fälle für extreme Ausnahmekonstellationen bei Taten nach den Absätzen 3 und 4 zu normieren.

Zu § 238 Absatz 6 StGB

Der nicht qualifizierte Tatbestand nach Absatz 1 soll als (relatives) Antragsdelikt
ausgestaltet werden.

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Änderung der Strafprozessordnung (Erweiterung der Haftgründe)

In § 112a Abs. 1 Nr. 1 StPO wird nach der Angabe "179" die Angabe ", § 238 Abs. 2 bis 4" eingefügt.

Begründung zur Erweiterung des § 112 a StPO:

Zweites Kernstück neben der Einführung des neuen § 238 StGB-E ist die Aufnahme der
qualifizierten Tatbestände (§ 238 Abs. 2 bis 4 StGB-E) in § 112a Abs. 1 Nr. 1. Nach den Erfahrungen der Praxis kann dem Opfer in gravierenden Fällen des "Stalking" oftmals nur dann geholfen werden, wenn der durch den Täter in Gang gesetzte Terror durch dessen Inhaftierung unterbrochen wird. Jedoch liegen die Voraussetzungen des § 112 zumeist nicht vor, weil es sich beim Täter um eine ansonsten strafrechtlich noch nicht in Erscheinung getretene Person in geordneten sozialen Verhältnissen handelt. Die zeitlich begrenzte Ingewahrsamnahme nach Polizeirecht bietet gleichfalls keine effektive Handhabe. Dementsprechend sind in der Vergangenheit Fälle aufgetreten, in denen der in Freiheit befindliche Täter das Opfer während laufender Strafverfahren körperlich schwerst geschädigt oder gar getötet hat. Dies erscheint unerträglich.
Diesen Umständen trägt der Entwurf durch eine Ergänzung des § 112a Abs. 1 Nr. 1 Rechnung. Die Umstände des Einzelfalls können im Rahmen der Entscheidung über den Erlass des Haftbefehls berücksichtigt werden.

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