Die Antwort des Pressesprechers:
Sehr geehrter Herr Koch,
Das Büro des Ratsvorsitzenden hat mich gebeten Ihr Mail vom 23. April zu
beantworten. Diese Antwort verbinde ich ausdrücklich mit dem Dank für Ihr
langes und argumentatives Mail. Ich denke es ist gut, wenn sich Menschen
über unterschiedliche Ansichten auseinandersetzen.
Sie haben richtig gelesen, der Ratsvorsitzende, Bischof Wolfgang Huber, hat
in einem Interview mit BILD und in verschiedenen Stellungnahme anschließend
- unter anderem in der ARD-Sendung Panorama und in der ARD-Talkshow "Sabine
Christiansen" - inhaltlich festgestellt, dass die vorliegende Beweislage
dieses Urteil bedingt habe - so etwa in seiner Äußerung in der ARD-Sendung
"Panorama" oder auch am gestrigen Abend in der Sendung "Christiansen":
"Niemand soll sich täuschen, auch wenn die Beweislage zu einer Verurteilung
der älteren Brüder nicht ausgereicht hat, dass sie moralisch mitschuldig
sind, dass wir es hier mit einer Art von kollektivem Verbrechen zu tun
haben, bei dem unser Individualstrafrecht sowieso an Grenzen stößt, das ist
überdeutlich." Er spricht von einer moralischen Mitschuld derer die
freigesprochen worden sind. Der Eindruck ist auch durch das Urteil und die
bisher bekannte mündliche Begründung des Urteils nicht ausgeräumt, dass der
Gedanke eines "Ehrenmords" nach dem traditionalistischen Verständnis
islamischer Ethnien im Hintergrund stehen könnte. In der Pressemitteilung
des Gerichts heißt: Die Kammer "sah es als erwiesen an, dass der Angeklagte
bei der Tötung heimtückisch, d. h. unter Ausnutzung der Wehrlosigkeit des
durch den plötzlichen Angriff überraschten Opfers gehandelt hat. Sie hat
weiter festgestellt, dass der Angeklagte aus niedrigen Beweggründen seine
Schwester tötete, da er sich der Familienehre wegen, die er durch den
Lebensstil seiner Schwester verletzt sah, als Vollstrecker über deren
Lebensrecht erhob. Als Maßstab für die Bewertung des Tatmotivs hat die
Kammer auf die Vorstellungen der Rechtsgemeinschaft der Bundesrepublik
Deutschland abgestellt." So muss doch die Frage einer moralischen
Mitverantwortung gestellt werden, auch wenn die Brüder nicht wegen
erwiesener Unschuld, sondern aus Mangel an Beweisen freigesprochen werden,
wie in der Pressemitteilung ausgeführt wird.
So hat der Ratsvorsitzende nicht mehr zu wissen als das Gericht, wie er etwa
in der Sendung "Panorama" ausdrücklich feststellt: "Also ich beteilige mich
jetzt nicht an der Aufgabe, die dieses Gericht hatte. Würdige jetzt nicht
die einzelnen Beweise. Aber wenn Sie so wollen, ist auch noch die Reaktion
darauf ein Hinweis, die Interpretation, die die Familie selber gegeben hat.
All das spricht eine deutliche Sprache."
Ziel dieser Äußerung des Ratsvorsitzenden wie auch anderer Äußerungen, ist
es auf keinen Fall die Rechtmäßigkeit eines Rechtsurteils in Frage zu
stellen, sondern die Frage an unseren Rechtsstaat zu richten, ob das
vorhanden und auf individualistische Schuld ausgerichtete Rechtssystem
ausreicht, diesem Phänomen des Ehrenmord aus islamischer Tradition zu
begegnen. Diese Frage ist m.E. in einem Rechtsstaat, der nach demokratischen
Prinzipien aufgebaut wird, verständlich und richtig. So wie etwa Robert
Leicht in der ZEIT schreibt: "Wer in dieser Situation auch nur die Frage zu
stellen wagt, ..., bekommt es schnell mit dem Vorwurf zu tun, er sei
illiberal und rechtsstaatlich wohl nicht ganz auf der Höhe der Zeit. Als ob
es nicht gerade zur Wehrhaftigkeit unserer am Menschenrecht orientierten
freiheitlichen Ordnung gehörte, die Auseinandersetzung mit solchen Taten
auch über das Strafrecht hinaus zu führen." Ich sehe gerade bei einem
Bischof die Aufgabe, diese Frage zu stellen, und dabei Stimme der
Entrechteten und Sprachlosen zu sein. Das Leben der Ermordeten ist damit
nicht mehr zu retten, aber die Frage, ob nicht mit einer Möglichkeit, mit
solch motivierten Taten anders umzugehen, weitere derartige Morde zu
verhindern?
Mit freundlichen Grüßen
......
Pressesprecher der EKD
Herrenhäuser Straße 12
30419 Hannover
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