Sonntag, 5. Juni 2005

Zur Behandlung gekränkten Ehrgefühls in der deutschen Strafjustiz

Die Frankfurter Rundschau (via Handakte) thematisiert die strafrechtliche Aufarbeitung von Straftaten ausländischer Mitbürger und von Mitbürgern mit ausländischer Herkunft, die ihren Ursprung in verletztem Ehrgefühl der Täter haben.

Zugespitzt gefragt: Darf oder muss das verletzte Ehrgefühl, das zum Beispiel in der Türkei weit verbreitet ist, strafmildernd in Deutschland berücksichtigt werden?

Es m. E. ist immer eine Frage des konkreten Einzelfalls, die nicht generell beantwortet werden kann. Maßstab des Handelns ist die Sicht der Dinge in Deutschland. Das Strafmaß ist nach der persönlichen Schuld des Täters zu bemessen. So viel kann gesagt werden: Je länger der Täter in Deutschland ist, desto weniger kann sich die hier fremde Sicht der Dinge strafmildernd auswirken. Aber auch, wenn der innere Beweggrund des verletzten Ehrgefühls im Prinzip strafmildernd zu berücksichtigen ist, muss er sich keinesfalls erheblich auf das Strafmaß auswirken. Es wird nicht rechtsfehlerhaft sein, den rechtspolitisch nicht gewollten Gesichtspunkt des verletzten Ehrgefühls, der auf der Herkunft des Täters beruht, als einen unter mehreren Schuldzumessungsgesichtspunkten mit zu berücksichtigen.

Zum vollständigen Artikel der Frankfurter Rundschau.

LiNo hat sich schon mehrfach mit dem Thema befasst:

Nach tödlichen Schüssen auf der Straße: Drei Brüder des Opfers unter Tatverdacht

Neues zum mutmaßlichen "Ehrenmord" in Berlin - Tempelhof

Eine Frage der Ehre - Dr. Werner Platz zum "Ehrenmord"

Ermordet, weil sie frei sein wollten - sechs "Ehrenmorde" seit Oktober 2004 in Berlin

Offener Brief eines Schulleiters in Berlin

Oberstaatsanwalt a.D. Willi Wiedenberg über Ehrenmord in Berlin

Nach Ehrenmord: Demonstration gegen Gewalt an Frauen mit etwa 1000 TeilnehmerInnen

Gewalt im Namen der Ehre gibt es nicht

Neuköllner Schule verhängt Strafen nach Beifall für „Ehrenmord“

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Ich halte es für sehr problematisch, das "Ehrgefühl", wie es sich in den aktuellen Fällen zeigt, strafmildernd zu berücksichtigen. Bei den diskutierten Straftaten war Inhalt dieses Ehrgefühls die gewalttätige Unterdrückung der Ehefrau und Blutrache. Und das hat meiner Meinung nach aber ebensowenig mit Strafmilderung zu tun wie Gangsterehre im Bereich der organisierten Kriminalität. Wenn "Ehrgefühl" so massiv gegen Verfassung und Grundwerte menschlichen Zusammenlebens verstößt, dann sollten wir nicht nachsichtig sein, nur weil es manchmal im kulturell-religiösen Mantel daherkommt.